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Titelthema 1/16: Promillefallen im Alltag (Alkohol in Lebensmitteln und Co)

TitelJanuarVon Schoko-Eis bis Zahnungshilfe:

Wo lauern Promille-Fallen im Alltag?

Kennen Sie das nicht auch? „Hier, wir haben Dir extra alkoholfreies Bier gekauft, das darfste doch“, wollten mir Bekannte neulich etwas vermeintlich Gutes tun. Ich lehnte ab. Schon der Biergeruch allein, geschweige denn die 0,5 Promille drin, könnten Folgen für mich haben. Rückfall. Leberschaden. Friedhof. Klingt das nach zu viel Vorsicht? Oder wieviel Vorsicht ist tatsächlich nötig? Und weshalb und wovor nun eigentlich genau?

Stellen Sie sich vor, Sie essen ein Stück Schokolade, schlucken es hinunter und merken erst dann: Da war ja Alkohol drin!
Was kann einem trockenen Alkoholiker denn nun passieren?

Das weiß man leider noch nicht haargenau. Allerdings haben wissenschaftliche Untersuchungen in einem neutralen Labor ergeben, dass Fruchtsäfte mit einem Alkoholgehalt unter 0,5 V% noch kein „Verlangen“ (Cravings) auslösen, ganz im Gegensatz zu Bildern alkoholischer Getränke.

„Sinneseindrücke wie Geschmack, Geruch, Geräusche oder Aussehen lösen als Schlüsselreize offensichtlich eher Verlangen aus als minimale Alkoholmengen. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse stützen unseren Rat, keine Getränke oder Speisen zu sich zu nehmen, die wie Alkohol aussehen oder schmecken. Aber warum sollte man es trotzdem so genau mit dem Alkoholgehalt nehmen? … Der Grund für den dringenden Rat zur absoluten ,Nullgrenze‘ liegt nicht in der Physiologie, sondern in der Psychologie der Sucht. Für die Sucht ist es geradezu typisch, dass aus einer sachlichen und wissenschaftlich korrekten Information wie der, die sie gerade gelesen haben, fast zwangsläufig folgende illusionäre Idee im Bewusstsein eines Süchtigen entsteht: ,Wenn mir ein bisschen nichts anhaben kann, dann brauche ich ja auch nicht mehr so konsequent und wachsam sein wie bisher! Und wenn ich dann aus Versehen ein wenig Alkohol zu mir nehmen sollte und mir das nichts ausmacht, ist doch alles in Butter. Vielleicht bin ich eben doch kein Alkoholiker!?‘“ (aus „Die Suchtfibel“ von Ralf Schneider, 14. Auflage, S. 389).

Genau deshalb raten Therapeuten und erfahrene trockene Alkoholiker dringend: Meiden Sie alle Lebensmittel und Getränke, die auch nur minimal Alkohol enthalten und genauso schmecken und riechen wie alkoholhaltige! Das ist die sicherste Methode.
(Das Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund hat übrigens herausgefunden, dass die Wahrnehmung von Alkohol bei zwischen 0,2 – 0,5 Vol% beginnt.)

Aber auch in anderen Produkten unseres Alltags ist (oft ungeahnt) Alkohol enthalten. Im Folgenden ein kleiner Leitfaden durch die Promille-Fallen.

Lebensmittel

Ist das Kleingedruckte verlässlich?

Laut deutschem Lebensmittelgesetz muss Alkohol, wenn er als Zutat benutzt wird, auf der Zutatenliste der Verpackung gekennzeichnet werden (auch als Äthanol oder Ethylalkohol, die chemischen Begriffe). Übrigens auch, wenn er als Konservierungsmittel benutzt wird.

Aber Achtung: Wird Alkohol als Lösungsmittel für Aromen während der Produktion eingesetzt, muss das NICHT gekennzeichnet werden. Wenn also in der Zutatenliste Aromen angegeben werden, könnte die Speise Spuren von Alkohol enthalten (unter 0,5 V%)!

Ebenso unsicher sind lose verkaufte Produkte, zum Beispiel die „Teilchen“ beim Bäcker oder auch Speiseeis. Da besteht keine Kennzeichnungspflicht. Hier sind Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit selbst in der Pflicht: Nämlich nachzufragen.

Hinzu kommt: Spuren vom Alkohol sind natürlicherweise als so genannte Spuren in vielen Lebensmitteln enthalten (z.B. in Brot, Fruchtsäften, Obst) – denn Alkohol ist ein Stoffwechselprodukt bei Gärungsprozessen und die kommen in vielen Lebensmitteln in geringer Form vor. Essen oder Nichtverzehren, das liegt ganz in Ihrem eigenen Ermessen. Ebenso, was den viel diskutierten Essig betrifft: Ist die Oxydation der zugrunde liegenden alkoholhaltigen Flüssigkeiten abgeschlossen, enthält er weniger als 0,5 Vol % Alkohol. Aber Vorsicht, denn bei einigen südländischen Sorten wird später  wieder Wein o.ä. zugefügt. Das erkennen Sie auf dem Etikett.

Eine Liste mit Hinweisen zu Lebensmitteln, die man meiden sollte, finden Sie im Kasten auf S . Beachten Sie aber, dass sich Rezepturen oft über Nacht ändern können.

Getränke

Prost Malzbier?

Die Kennzeichnungspflicht für alkoholische Getränke besteht erst bei Werten, die  deutlich über den natürlicherweise vorkommenden Spuren liegen: Erst ab einem Alkoholvolumen von 1,2 Vol%  muss Alkohol im Getränk angegeben werden.

„Alkoholfrei“ darf sich ein Getränk nennen, wenn es weniger als 0,5 Vol% Alkohol enthält. Deshalb können und dürfen „alkoholfreie“ Biere geringe Alkoholmengen enthalten.

Malzbier darf bis zu 1,2 Vol. % Alkohol enthalten, ohne dass es gekennzeichnet sein muss. Es darf sich aber nicht „alkoholfrei“ nennen, wenn es mehr als 0,5 Vol% Alkohol enthält.

Fruchtsäfte dürfen laut Lebensmittelgesetz bis zu 0,38 Vol% enthalten. Sie entstehen durch die Gärung von reifen Früchten. Der Alkoholgehaltunterscheidet sich sehr. Während klarer Apfelsaft nur 0,02 Vol% haben kann, liegen die Prozente im naturtrüben höher (bis zu 0,3 Vol%), weil die nicht abgefilterten Fruchtbestandteile Nährboden für Hefepilze sind, die Alkohol produzieren.

Im Restaurant

Lieber Schnitzel statt Rehbraten?
Auch wenn es nicht auf der Speisekarte ausgewiesen ist wie zum Beispiel „Rehrücken in Rotweinsoße“, kann sogar eine Zwiebelsuppe mit Weißwein verfeinert sein, die Gulaschsuppe mit Rotwein, der Fruchtsalat mit Rum. Auch viele Eissorten (wie Schoko und Kirsch) oder Desserts wie Tiramisu können Liköre enthalten. Sichern Sie sich ab, indem Sie in der Küche nachfragen (lassen).

Beim Kochen

Adé, lecker Rotweinbratensoße?
Entscheiden Sie selbst: Laut US-Forschern verkocht/verdampft der Alkohol nicht so schnell, wie bisher geglaubt: Der Siedepunkt des reinen Alkohols liegt zwar bei nur 78 Grad, aber in Verbindung mit dem Wasser im Wein erhöht er sich. Und zwar so, dass nach einer halben Stunde Kochen immer noch 35 Vol% des zugefügten Alkohols in der Speise enthalten sind. Je später er dazugegeben wird, desto mehr bleibt drin – und außerdem auch mehr Geschmack, der wiederum das Suchtgedächtnis strapazieren kann.
Wer nicht auf die Vielzahl von Rezepten ohne Alkohol ausweichen möchte: In unserem Kasten auf Seite  finden Sie Ersatzmöglichkeiten für Weine beim Kochen.

Beim Arzt, in Apotheke und der Drogerie

Ohne Schmerzspritze beim Zahnarzt?
Nein, keine Sorge! Aber worauf  Sie dennoch unbedingt achten sollten, das erklärt Ihnen unsere Leserin und Autorin Cornelia Ludwig in ihrem Report auf Seite .
Im Beipackzettel/auf den Verpackungen von Medikamenten sind auch geringste Alkoholmengen angegeben. Dafür gibt es strenge Regeln und Kontrollen. Besonders häufig ist Alkohol in flüssigen Arzneien enthalten, z.B. in Hustensäften oder Beruhigungstropfen. Es gibt aber immer auch Alternativen in nicht flüssiger Form, die keinen Alkohol enthalten. Auch frei verkäufliche so genannte Stärkungsmittel (wie z.B. Nerventonikum, Ginseng-Präparate) enthalten teilweise sogar in hohen Mengen Alkohol.

Fazit: Um nicht in Promille-Fallen zu tappen, ist es unumgänglich, die Zutatenlisten auf Lebensmittelverpackungen genau zu lesen und/oder direkt nachzufragen, ob beim Verkäufer, Kellner, Arzt oder Apotheker.
Bitte lesen Sie dazu auch auf den folgenden Seiten Cornelia Ludwigs Erfahrungen in Drogerie, Apotheke und beim Zahnarzt.

Anja Wilhelm