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Titelthema 05/2014: Wohnungslos – und kein Ende in Sicht

WOHNUNGLOS – UND KEIN ENDE IN SICHT


Die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt ist seit der Jahrtausendwende eindeutig. Die Mietpreise steigen und der Bestand an bezahlbarem Wohnraum sinkt. Selbst bei Neubauprojekten beträgt der Anteil an sozialem Wohnraum oft weniger als 30%. Das Phänomen Wohnungslosigkeit trägt damit wesentlich zur sozialen Ungleichheit zwischen denen, die haben und denen, die nicht(s) haben, bei. Betroffen ist davon zum Beispiel das Rentnerehepaar mit begrenztem Einkommen, das aufgrund von Gentrifizierung seine alte Wohnung nicht mehr bezahlen kann und aufgeben muss. Den Mangel an sozialem Wohnraum bekommen auch jene deutlich zu spüren, die wir im Rahmen der ambulanten Hilfen betreuen. Die Unterbringung bei Verwandten und Freunden kann in diesem Zusammenhang nur als Notlösung angesehen werden. Folgt man der Definition von Wohnungslosigkeit, die die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe (BaGW) formuliert hat, dann gehören beide Personengruppen bereits zu den fast 300.000 Menschen, die allein in Deutschland von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Es reicht schon der Umstand, dass jemand über keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum verfügt und auf ordnungs- oder sozialrechtlicher Grundlage in eine kommunale Wohnung oder in ein Heim der Wohnungslosenhilfe eingewiesen wird. Dort ist allerdings die Aufenthaltsdauer begrenzt und Dauerwohnplätze gibt es nur wenige. Typische Beispiele dafür sind Übergangswohnheime und -wohnungen, Asyle, Herbergen und betreute Wohnformen. Dies gilt gleichermaßen für den von uns im Rahmen von betreutem Einzelwohnen und einer therapeutischen Wohngemeinschaft zur Verfügung gestellten Wohnraum. Ganz gleich um welche Wohnform es sich dabei handelt, für die betroffenen Wohnungslosen geht es immer „nur“ um kurzfristigen Schutz, nicht um langfristiges Wohnen.

Dass es oft unverschuldete unglückliche Umstände, wie der Tod von Menschen und Tieren, Krankheit, Scheidung, Gefängnis, Gewalt, psychische Erkrankung und Sucht sind, die Menschen in die Wohnungslosigkeit treiben, macht die Sache nicht einfacher. Noch weniger hilft das Recht auf Wohnen, dieses 1948 international verbriefte Menschenrecht. Man mag jetzt einwenden, dass der menschenrechtliche Handlungsbedarf hierzulande eh weniger offenkundig ist als in vielen Teilen der Welt, wo unfassbares Wohnelend herrscht. An der Verpflichtung eines jeden Staates, für seine Bürger Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen, ändert dies aber nichts. Und: eine sichere, angemessene und dauerhaft finanzierbare Wohnung bleibt dafür eine we- sentliche Grundvoraussetzung. Die steigenden Zahlen wohnungsloser Menschen sind jedoch eher ein Indiz dafür, dass die Politik allein diese Aufgabe nicht bewältigen kann. Es braucht mehr Initiativen, z.B. in kleinerem Zusammenhang orientierten Kontext und ganz allgemein mehr gesellschaftliches Verständnis für die Ursachen von Wohnungslosigkeit.

Auch Menschen, die aus Institutionen wie Gefängnissen, Kliniken und Heimen entlassen werden, gehören zum Personenkreis der Wohnungslosen. Sie bleiben immer häufiger in ihrer schwierigen Situation stecken, wenn zum Zeitpunkt der Entlassung kein Wohnplatz zur Verfügung steht. Der Schritt in die Selbstständigkeit durch eigenen Wohnraum bleibt ihnen somit verwehrt. Für solche Fälle ist in Berlin die Soziale Wohnhilfe ein verlässlicher Ansprechpartner. Sie kooperiert seit langem mit den Berliner Wohnungsbaugesellschaften. Doch der Bedarf übersteigt bei weitem das Angebot, das vermittelt werden kann. Richtig kritisch wird es, wenn man dann noch auf die steigende Anzahl von Immigranten und Asylbewerbern blickt. Sie müssen in der Regel monatelang in Auffangstellen, Lagern, Heimen oder Herbergen wohnen, bis wenigstens der Aufenthaltsstatus geklärt ist.

Für fast alle hier genannten Betroffenen gilt, dass sie aufgrund eines schwierigen Wohnungsmarktes zu lange in einer Situation leben, die auf Dauer krank macht. Und zwar nicht nur körperlich, sondern vor allem psychisch. Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in Berlin schlagen bereits seit langem Alarm und beklagen die unhaltbaren und unmenschlichen Zustände für die Betroffenen. Wie gestrandete Seelen warten sie auf ein normales Leben in eigener Wohnung. Hinzu kommt der Umstand, dass diese Menschen zunehmend als Konkurrenz von jenen empfunden werden, die noch weiter unten sind. Die, die „Platte machen“, also auf der Straße leben und ohne eigene Unterkunft an öffentlichen Plätzen, in Abbruchhäusern, Parks oder unter Brücken nach einem Schlafplatz suchen, bis sie nicht mehr können und ein Dach überm Kopf benötigen oder verschrieben bekommen.

Man glaubt es kaum: der 11. September ist nicht nur der „Tag des Terrors“, sondern auch der „Tag der Wohnungslosen“. Grund genug zu hoffen, dass zukünftig etwas mehr, und sei es nur ein winziger Bruchteil des Geldes, welches für die Terrorbekämpfung ausgegeben wird, für die Wohnungslosen abfällt. Vielleicht schlägt man damit sogar zwei Fliegen mit einer Klappe: die Zellen von Wut und Verzweiflung befrieden!

Andreas Peters