Gedanken zur Zeit – ABC der Sucht

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben uns entschlossen – auch für unsere vielen neu hinzugekommenen AbonnentInnen –, an dieser Stelle eine zwar zehn Jahre alte, aber nie und nimmer veraltete Wiederholung zu starten: AnDi’s ABC der Sucht. Von A bis Z teilte er darin seine damaligen Gedanken zu Abhängigkeit, Suchtmitteln, Suchthilfe und ja, auch Politik.

ABC der Sucht (aus der TrokkenPresse-Ausgabe 03/2015)

AnDis Gedanken zur (damaligen) Zeit – vor zehn Jahren

 „D“ – wie Drogenpolitik

 Während Innenpolitik, Außenpolitik, Finanz- und Wirtschaftspolitik eigenständige Bereiche sind, deren Aufgaben sich jeder Bürger gut vorstellen kann, ist Drogenpolitik schwerer einzuordnen. Meine kleine Recherche im Bekanntenkreis kam zu einem Sammelsurium an Wunschvorstellungen von „das Land drogenfrei machen“ bis zu der Idee der „Freiheit für alle Stoffe unter staatlicher Kontrolle“.

Zwischen Justiz, Innenpolitik, Gesundheitspolitik und Sozialpolitik scheint das Thema angesiedelt zu sein und beschäftigt sich in der öffentlichen Wahrnehmung mit den unangenehmen Randgebieten des Drogenkonsums. Drogenbeauftragte mühen sich um Prävention und Koordination von Therapiezugängen und vieles mehr.

Repressive Methoden, so lehrt uns die Geschichte, schüren den schwarzen Markt, libertinäre Vorstellungen vom freien Zugang zu allen Drogen verkennen bei dem Wunsch nach Selbstbestimmung, dass viele Menschen damit nicht gut umgehen können, wie der Umgang mit den in unserem Kulturkreis zugänglichen Drogen Alkohol und Nikotin zeigt. Die Bundesdrogenbeauftragte beschäftigt sich gerade mit dem Thema Haschischfreigabe, nicht ohne Verteilung politischer Stiche in Richtung Opposition. Die Themenvermischung mit dem medizinischen Nutzen des Stoffes, den sie in einem Interview mit einer Tageszeitung vornimmt, ist etwas irritierend.

Zahlen sind ja immer sehr imponierend. So liegen die indirekten Kosten aus dem Tabakkonsum in unserem Land bei 53,7 Milliarden – ein unvorstellbarer Betrag als Bild für das Elend des Einzelnen, der an einem Lungentumor zugrunde geht. Übrigens müsste eine Schachtel Zigaretten für 11,30 verkauft werden, um alle Folgeschäden zu kompensieren.

Drogenpolitik muss sich also in alle gesellschaftlichen Bereiche einmischen, um im öffentlichen Bewusstsein den Unterschied zwischen Genuss und Sucht zu schärfen. Und man kann für unterschiedliche Haltungen in Fragen der Drogenpolitik auch jeweils gute Argumente finden. Politik kann hier Voraussetzungen schaffen, Verbote oder Zulassungen aussprechen, geeignete Mittel suchen, um Dealern keinen zu großen Spielraum zu gewähren, Politik kann dazu beitragen, ein gesellschaftliches Klima der Mitmenschlichkeit zu fördern, wirklich steuern kann sie das Verhalten der Menschen in einer demokratisch verfassten Gesellschaft aber nicht. Hier kann nur die Masse der Einzelnen im individuellen Einflussbereich der Beziehungsgestaltungen tätig werden. In den vielen Anamnesen, die ich mit Menschen erhoben habe, deren Leben von Sucht belastet ist, spielten fast immer auch misslungene zwischenmenschliche Beziehungen eine wichtige Rolle bei dem nicht mehr beherrschbaren Wunsch nach Bewusstseinsveränderung bis hin zu der Vorstellung, dass der Stoff selber zu einem Freund geworden zu sein schien. Wenn wir unseren Umgang mit uns und unseren Mitmenschen so gestalten, wie wir selber behandelt werden möchten, dann betreiben wir die Zuarbeit für eine gelungene Suchtpolitik. Vermeiden wir Widersprüchlichkeiten, wie ich sie in einer Straßenszene erlebte: Ein Vater erläutert seinem kleinen Sohn an seiner Hand die Fairness im Fußball. Da kreuzt ein Radfahrer rücksichtslos den Weg und der Vater brüllt ihm hinterher: „Willst Du auf die Fresse … oder was, Du A…?!“

Wir dagegen bleiben besonnen, oder?

AnDi