Liebe Leserinnen und Leser,
wir haben uns entschlossen – auch für unsere vielen neu hinzugekommenen AbonnentInnen –, an dieser Stelle eine zwar zehn Jahre alte, aber nie und nimmer veraltete Wiederholung zu starten: AnDi’s ABC der Sucht. Von A bis Z teilte er darin seine damaligen Gedanken zu Abhängigkeit, Suchtmitteln, Suchthilfe und ja, auch Politik. Wie Sie heute beim Buchstaben A sehen können, ist es aktueller denn je …
ABC der Sucht (aus der TrokkenPresse-Ausgabe 06/2014)
AnDi’s Gedanken zur Zeit
Was hat die Abstinenz in diesem Fall mit Krieg zu tun?
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich wundere mich manchmal darüber, wie selbstverständlich uns bestimmte Dinge vorkommen, die vor wenigen Jahren fast undenkbar waren. In der Zeit meiner Jugend schien es in Ost wie West in Stein gehauen: Von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen! Das bedeutete, Deutschland wird sich nicht an kriegerischen Einsätzen beteiligen. Wir kennen den Lauf der Geschichte und wissen: Das hat sich gründlich geändert. Wir haben auch festgestellt, dass keiner der Einsätze bisher dazu geführt hat, dass weniger Menschen Leid zugefügt wurde. Nur selten hören wir davon, dass konsequent dafür gearbeitet wird, dass in der Welt keine Waffen mehr verteilt werden. Und wenn das mal einer sagt, dann sagt ein anderer Politiker aber mit großer Sicherheit, dass wir den Export von Waffen brauchen, weil sonst Arbeitsplätze „vernichtet“ werden. Als könne man daran gar nichts ändern. Und noch bei jedem Einsatz wurde den Gegnern entgegengehalten, dass es ja grundsätzlich richtig sei, wenn man sich gegen kriegerische Einsätze wendet, aber in „diesem Fall“, … „in diesem Fall“ sei nichts anderes möglich!
Was hat das mit Sucht zu tun? Nichts! Mich erinnert die Argumentation nur so seltsam an süchtiges Denken. Wenn ein abstinent lebender suchtkranker Mensch diese Argumentation für sich und sein Suchtproblem nutzen würde, so könnte er argumentieren: Natürlich ist es wichtig und selbstverständlich, die Abstinenz zu halten. Es gibt aber immer wieder Situationen im Leben, in denen es aber nun mal leider nicht anders möglich ist als in „diesem Fall“, …in „diesem Fall“ einmal anders zu handeln und sich einen hinter die Binde zu gießen. Und alle, die das Wort Sucht buchstabieren können, wissen, dass „dieser Fall“ gerade „der Fall“ ist, auf den es zu achten gilt, weil er „diesen Fall“, den Rückfall in alte Lebensweisen, einleitet. Das wertvolle Gut der Abstinenz ist die Stetigkeit, um die sich der Süchtige müht, indem er täglich – auch in „diesem Fall“ – Abstinenz übt. Selbsthilfegruppe, Rituale, die Pflege des Selbstwertgefühls und vielleicht ein kleiner Spritzer Spiritualität können dafür gute Helfer sein.
So wie sich der Frieden in der Welt nicht von allein erhält, so erhält sich auch die Abstinenz in jedem Fall durch regelmäßige Vorsorge. Die Auseinandersetzung um die Pflege des Kontaktes mit sich und anderen Menschen sind das beste Rückfallprogramm, um zu verhindern, dass es nicht doch „diesen Fall“ gibt, in dem man einfach süchteln muss.
Bleiben Sie besonnen!
AnDi