AnDi und seine Gedanken zur Zeit:
Auf Augenhöhe
Wer mir auf Augenhöhe begegnen will, muss es schon mit seinen Augen auf etwa 1,85 m bringen, und wenn ich Dirk Nowitzki auf Augenhöhe begegnen möchte, dann brauche ich Mutters alte Küchenleiter, die einem nach Besteigung 50 cm mehr Körpergröße verleiht.
Und was ist der Effekt? Ich kann mit diesem Bild aus einem anderen Zusammenhang, also einer Metapher, wenig anfangen. Wenn man recherchiert, was allgemein unter „auf Augenhöhe“ verstanden wird, dann geht es um (auch rechtliche) Gleichberechtigung, gleiche Ebene oder gleichwertige oder gleichberechtigte Position.
Wie sollte dann ein Richter mit einem Strafgefangenen auf Augenhöhe sprechen oder ein Lehrer mit seinem Schüler?
Wenn ich mit jemandem spreche, dann möchte ich akzeptiert, verstanden, mit Würde behandelt und in meiner Art und Weise des Auftretens akzeptiert werden. Das gilt sowohl für den Fall, dass ich jemandem etwas Gutes tue als auch für die peinliche Situation, wenn ich wegen Übertretung der Geschwindigkeit von einem Polizisten angehalten werde. Mir ist es gleichgültig, ob mir jemand dankbar ist oder mir ein Verwarnungsgeld verpasst – ich wünsche mir von beiden eine würdige und respektvolle Ansprache. In beiden Fällen sind wir als Partner nicht gleichberechtigt, denn ich lasse niemand anders über mein Geld verfügen, der nicht das Recht dazu hat. Andererseits habe ich keinen Anspruch auf gleichberechtigte „Augenhöhe“ mit dem Polizisten, indem er mir das Verwarnungsgeld erlässt.
Gut verstanden habe ich einen Patienten bei einem Erstgespräch für eine Psychotherapie, der mit mir „auf Augenhöhe“ arbeiten wollte: Er erwartete meine Bereitschaft, ihm zuzuhören, innerlich zu bewerten, ob das, was er mir erzählte, für ihn oder andere zum Schaden gereicht, mich damit mit ihm auseinanderzusetzen und meine Bewertung zu begründen. Er sei bereit, alles, was ihm bewusstwird, mit mir zu teilen. Erst während der Therapie merkte der Patient, wie schwierig es für ihn war, diese Art der Arbeit auf Augenhöhe einzuhalten.
Ich habe bei der Arbeit mit ihm festgestellt, dass Würde und Respekt anderen Menschen gegenüber eigentlich gar nicht so schwer sind, dass aber die Augenhöhe von demjenigen zu erwarten ist, der die vermeintlich niedrigere Position hat, wie eben ich gegenüber Dirk Nowitzki. Ich möchte auch nicht von einem Menschen mit Macht über mich so behandelt werden, als habe er sie nicht. Ich muss in meinem Innern die „Augenhöhe“ herstellen, indem ich unerschrocken, aber ebenso respektvoll und würdig dem Gesprächspartner gegenübertrete, wie ich es von ihm erwarte. Wenn er darauf nicht angemessen reagiert, dann weiß ich wenigstens, womit ich es zu tun habe. Aber ich habe die Chance, mich nicht abbügeln zu lassen. Augenhöhe kann man also nicht erwarten, sondern muss sie sich schaffen. Meine Selbstachtung kommt aus mir und ist nicht die gnädig-huldvolle Gabe eines Menschen, den ich für überlegen halte.
Und noch eine zum Thema passende Anmerkung:
Wieder einmal ist es mir nicht gelungen, einen Text in einer verständlichen Gendersprache zu formulieren. In diesem Zusammenhang finde ich es nicht würdig und respektvoll, die *, :, _ und Pausen zu verschriftlichen, weil das sicher dem Thema und den Menschen nicht gerecht wird, zumal die Individuen mit ganz individueller sexueller Identität in der Sprache gar nicht vorkommen. Da formuliere ich lieber diesen Anhang und sage den Trans-Menschen, dass ich die unterschiedlichen Identitäten begrüße und respektiere, was mir wichtiger ist als das wenig aussagekräftige Wort „divers“, verschieden sind wir – nicht nur nach AnDi‘s Erfahrung – alle.