Gesoffen hat schon unser Steinzeit-Urgroßvater

Gesoffen hat schon unser Steinzeit-Urgroßvater

Teil 2

Im Wodka-Galopp durch zehntausend Jahre Alkoholgeschichte.

Nachdem wir in Teil 1 die Trinkgewohnheiten unserer Steinzeit-Vorfahren, der Sumerer und alten Ägypter beleuchtet hatten, beschäftigen wir uns in der Fortsetzung mit drei wichtigen Fragen: Woher stammt das Wort „Alkohol“, wer hat den Schnaps erfunden, und was ist eigentlich eine Kulturdroge?

Alkohol war auch mal ein Lidschatten

Woher stammt das Wort Alkohol? Im Arabischen bezeichnete man im frühen Mittelalter mit al-kuhl ein feines kosmetisches Pulver, das man zum Einfärben von Augenbrauen, Wimpern und Lidern benutzte. Über die Zwischenstation Spanien, wo man al-kuhl, um es melodischer betonen zu können, in al-kuhúl abwandelte, reiste der Begriff weiter nach Norden, wurde im 16. Jahrhundert vom großen Arzt und Alchemisten Paracelsus, der auch ein großer Trinker war, aufgeschnappt und von ihm als Synonym für das Feine, Subtile in unseren Wortschatz eingeführt. Alcohol vini als das reine, feine Destillat des Weins, der Weinbrand. Was für eine enorme Umformung liegt hinter diesem Begriff: vom Lidschatten zum Schnaps! In diesem Fall jedoch halbwegs plausibel, weil die alten Araber auch die Kunst des Destillierens erfunden hatten. Zwar ursprünglich zu medizinischen Zwecken, aber medizinischen Zwecken dienten anfangs auch Opium, Morphium und LSD. Vom medizinischen Zweck zur süchtig machenden Droge ist es oft nur ein winziger Schritt.

Die Germanen = chronische Schluckspechte

Trinkalkohol ist eine sogenannte Kulturdroge. Mit diesem Ausdruck bezeichnet man Rauschmittel, die schon die Götter gerne zu sich nahmen. Jeder, der im Geschichtsunterricht aufgepasst hat, weiß, dass an der ewig gedeckten Tafel in Walhalla der Met aus Krügen – und nicht aus kleinen Bechern – gesoffen wurde. Tacitus beschreibt in seinem Büchlein „Germania“ die Trinksitten unserer Urururgroßeltern. Er berichtet von in Bier getauchten Schnullern für die Säuglinge, von Gelagen, die im Komasuff endeten, von Ratsversammlungen, die wiederholt werden mussten, weil sämtliche Teilnehmer im Moment der Beschlussfassung betrunken waren. Für barbarisch hielten Römer und Griechen die germanische Angewohnheit, Wein pur – also nicht mit Wasser gemischt – zu konsumieren.

Im christlichen Mittelalter wird es nicht besser: Die Erfindung der Kunst des Brennens – also Hochprozentiges aus dem Rebensaft herauszufiltern, in süditalienischen klösterlichen Alchemieküchen ausgeheckt – machte es noch schlimmer. Nun war plötzlich aqua vitae, „Wasser des Lebens“, so lautete der beschönigende Ausdruck für Branntwein, in der Welt. Der Adel feierte rauschende Feste, die erst dann als hip galten, wenn am Ende alle Gäste betrunken auf dem Boden lagen. Mönche brauten Starkbier, um in der Fastenzeit nicht verhungern zu müssen. Unzählige Jesuserscheinungen von Nonnen sind auf den übermäßigen Genuss von Kräuterlikör zurückzuführen. Der Alkoholkonsum der unteren Gesellschafsschichten beschränkte sich auf die Fest- und Feiertage: Die waren allerdings häufig und die Besäufnisse heftig.

Nicht der Teufel hat den Schnaps gemacht

Der endgültige Siegeszug des Teufelszeugs Schnaps fällt zeitlich in etwa zusammen mit dem Start der industriellen Revolution. Gewerbefreiheit, stark vermehrte Vergabe von Schanklizenzen im Verein mit der Erfindung, Kartoffeln in Wodka zu verwandeln, ließen die Preise für Hochprozentiges stark fallen. Jeder Bauer, Industriearbeiter und Tagelöhner konnte sich nun in den billigen Rausch flüchten. Die Chronisten berichten ab 1830 von einer neuen Volksseuche, die sie als Branntweinpest und Elendsalkoholismus geißeln und die in erschreckendem Ausmaß und mit großer Geschwindigkeit um sich griff. Ganze Landstriche verarmten und ergaben sich dem Suff. In der Gründerzeit wird nochmals eine ordentliche Kelle draufgekippt: Der Pro-Kopf-Konsum erreichte zwölf Liter reinen Alkohol pro Jahr. Produktionsbedingte Engpässe kombiniert mit hoher Besteuerung ließen den Verbrauch nach dem ersten Weltkrieg auf fünf – 1923 während der großen Inflation sogar nur drei – Liter absinken. Mit der wirtschaftlichen Gesundung Deutschlands in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stieg auch das Verlangen nach Bier, Lambrusco, Weinbrand und klebrigen Cocktails schnell wieder an: von 4,0 Litern Reinalkohol (1950) über 9,4 (1960), 14,4 (1970) bis zum vorläufigen Maximum 16,7 (1976). Danach sinken die Werte bis heute ab: 15,0 (1980), 13,4 (1990), 12,0 (2000) auf aktuell 10,7 Liter (2018) (Quellen: DHS sowie ältere Ausgaben der „Jahrbücher zur Alkohol- und Tabakfrage“. Zahlen vor 1950 auf alle Einwohner bezogen. Danach eingegrenzt auf die Altersgruppe 15plus).

Alkohol ist neben Pilzen die älteste dem Menschen bekannte psychotrope Substanz. Daraus scheint sich in einigen Kulturkreisen ein Gewohnheitsrecht herausgebildet zu haben, ihn in zum Teil gesundheitsschädigender Weise konsumieren zu dürfen, ohne dass der Gesetzgeber regulativ eingreift.

In der Fortsetzung geht’s um (Alkohol-) Statistik.