Markus, glaubst Du an den lieben Gott?
Wenn ein Komödiant ein Buch schreibt, was erwarten Sie da, liebe LeserInnen? Ganz was Lustiges, oder nicht? Auf jeder Seite viel zum Lachen?
Aber Markus Majowski ist auch nur ein Mensch – ein Comedy-Star auf Bühne und im TV hat auch noch ein Leben hinter der Show. Ein „echtes“ Leben. Das fließt und floss mitnichten nur immer lustig und heiter dahin. Natürlich gibt’s auch viele, viele Anekdoten zum Grinsenmüssen, na klar beschreibt er auch Geschichten auf seine Weise, die die Mundwinkel unweigerlich nach oben ziehen. Ich habe jedenfalls sehr oft geschmunzelt im Verlauf der 200 Seiten. Schon am Anfang, als seine Frau Barbara in ihrem liebevollen Vorwort beschreibt: „Immer klappert oder scheppert etwas, wenn Markus in der Nähe ist …“ oder er fragt Dinge wie: „,Liebling, wo stehen bei uns die Gläser?‘, ,Was ist heute für ein Tag?‘, Wo bin ich?‘“. Ja, so ein bissel verschusselt ist er eben nicht nur auf Bühne und Bildschirm, sondern in echt. Verträumt. Mit den Gedanken ganz woanders. Und das ADHS tut seines noch dazu.
Außerdem ist er im echten Leben drogen- und alkoholkrank und bisexuell und sehr gläubig. Punkt. Dieses Buch, 2013 erschienen, ist sein damaliges Outcoming – und noch ganz vieles mehr …
Aufgewachsen als schon damals ein Wonneproppen, wie er schreibt, ist er in einer begüterten Westberliner Familie, der Vater war Cellist bei den Berliner Philharmonikern. Markus fehlt es an nichts. Auch nicht an absoluter Liebe. Und Harmonie. Aber dennoch oder deshalb … er hat nicht gelernt, mit Widerstand und widrigen Umständen umzugehen. Das bringt ihn viele Jahre, Jahrzehnte immer wieder in Schwierigkeiten. Bis hin zum Drogen- Alkoholmissbrauch.
Sein beruflicher Werdegang beginnt eher noch nicht so verheißungsvoll. Auf kleinen Bühnen. Er lebt in WGs, schuftet in einer Restaurantküche nebenher. Dann als Komiker und Schauspieler erst einmal entdeckt, startet er voll durch. Tourneen, Filme, Werbung. Aber auch das oft nicht ohne kleine und größere Missgeschicke, ob im Job und im Alltag. Von Rückschlägen oder Schicksalsschlägen bleibt auch er nicht verschont.
Woran er sich im Laufe seines kunterbunten Lebens bis 2012 (er lernt z.B. auch tauchen, findet die Liebe seines Lebens auf einer Tauchreise, wird Vater, schreibt ein Kinderbuch, gründet eine Firma, sorgt sich um trauernde Kinder, stellt seine Ernährung um, nimmt ab, lernt Qigong und, und, und …) wieder erinnert: Er glaubt an Gott. Nur hatte er inzwischen „den Draht“ zu ihm verloren. Markus nimmt ihn wieder auf. Spricht mit ihm, betet täglich. Hört zu. Und übt, in Resonanz zu gehen mit dem, was Gott für ihn vorgesehen hat. Jedenfalls habe ich das so verstanden als Leserin.
Markus Majowski schrieb das Buch, als er bereits einige Jahre trocken war. Diese Rückschau half ihm auch, weiter trocken zu bleiben, sagt er.
Und er sagt noch so, so, so viel!
Wissen Sie was, liebe LeserInnen? Ich werfe jetzt das Handtuch. Und zwar Ihnen zu (keine Sorge, es duftet nach Weichspüler). Sie sollten einfach selbst lesen. Vom prallen Leben, vom Hinfallen und Aufstehen, von Trauer und Schmerz, von Liebe und Glück, erzählt in unverwechselbarem, oft wirklich komischen Majowskisch. Und am Ende haben Sie dann sehr oft mitgefühlt, vor allem mitgegrinst. Und dies auch, kennen Sie diesen Zustand, wenn man lächelt und gleichzeitig aber „Pipi in den Augen“ hat vor Rührung?
Und vielleicht sind Sie dann sogar, wie ich auch, ein Stückchen weiser geworden, mit Markus auf seinem ureigenen Lebensweg …
Übrigens: Sein zweites Buch, erschienen 2021, stellen wir Ihnen in der nächsten Ausgabe vor: MARKUS, MACH MAL!
Anja Wilhelm
MARKUS MAJOWSKI, Markus, glaubst du an den lieben Gott? Verlag neukirchener aussaat, 2013, Geb., 200 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-7615-6035-8
Mein tödlicher Freund
Kein mahnend und lehrmeisterlich erhobener Zeigefinger, nirgendwo im Buch …
Auch darin unterscheidet sich dieses Erfahrungsbuch im Selbstverlag von einigen anderen Alkoholiker-Erfahrungsbüchern. Ja, es mahnt und erschüttert – und das teilweise bis ins Mark – aber einzig durch seine sachliche, undramatische Schilderung von hoch dramatischen Situationen und Fakten.
Was ich damit meine?
Steffen Krumm begann schon mit 15 seinen ersten „Selbstversuch“ mit einer kleinen Flasche Kirschlikör. Es war an einem Wochenende. Er wollte herausfinden, was seinen trinkenden Stiefvater oftmals aggressiv machte und andere Familienmitglieder wiederum ausgelassen … der Alkohol tat seine Wirkung. Vorerst positive. Und half auch gegen seine Ängste. Das kennen wir alle.
Mit 18 lernte er das erste Mal Entzugssymptome kennen. Mit 21 landete er zum ersten Mal auf einer Entgiftungsstation.
Unzählige weitere Entgiftungen folgten … Rückfälle, Arbeitsplatzverlust, Scheidung, Obdachlosigkeit und dazu die Abhängigkeit von Benzos. Irgendwann aber machte es klick und er blieb neun Jahre trocken. Bis zu einem Rückfall, der ihn fast das Leben kostete. Der Rettungsdienst konnte ihn reanimieren.
Seit einer Therapie und betreutem Wohnen ist er nun wieder trocken, clean und begann ein ganz neues Leben. Sein neu gefundener Glauben half ihm dabei. Er hat eine Wohnung, einen Job, und sogar mit seiner Exfrau ist er wieder zusammen. Das Schreiben des Buches war für ihn Teil seiner Therapie.
Vieles Geschilderte ist für trockene LeserInnen nicht ganz neu. Aber ob jemand von Ihnen sooo weit unten war? Steffen Krumm schildert detailliert, wie eine Party über Tage und Nächte verlief. Nachdem sich ein paar Leute, gerade aus der Entgiftungsstation gekommen, sofort wieder zudröhnten bei ihm Zuhause, als er noch eins hatte (nach der Party nicht mehr). Wie sie die letzten Tropfen aus den Flaschen zusammenkratzten, um ihr Zittern zu bekämpfen, After Shave tranken und Schlimmeres, kein Geld mehr hatten, Klauen gingen in den Supermarkt, wenn überhaupt noch jemand laufen konnte. Was mit seinem Körper geschah. Mit einer Psyche. Wie er sich selbst verdammte. Wie er Alkohol trinken MUSSTE … und am liebsten sterben wollte.
Die glasklare Schilderung seines Delirs erschütterte mich am meisten.
Am Ende beschreibt er mit eigenen, gut verständlichen Worten für einen Laien, was Sucht ist. Und dass die rote Linie zwischen Missbrauch und Sucht oft nicht sichtbar ist für den einzelnen.
Ich empfehle dieses Büchlein unbedingt!
Der noch Trinkende wird es nicht lesen wollen, es wäre wie ein Blick in den Spiegel, in den er nicht schauen will. Aber für den Trockenen kann es Erinnerung und Mahnung sein, es wirkt wie eine Art Rückfallprävention. Für Freunde und Angehörige von Abhängigen ist es fast Pflichtlektüre, wenn sie unbedingt verstehen wollen, warum Sucht keine Willens- oder Charakterfrage ist, sondern eine Krankheit ist …
Diesem Buch folgen noch zwei weitere Teile. Die lese ich für Sie gerne bis zur nächsten Ausgabe der TrokkenPresse.
Anja Wilhelm
STEFFEN KRUMM, Mein tödlicher Freund, NewDreams Verlag Steffen Krumm, (steffenk67@gmail.com), 196 S., 8,90 Euro, ISBN: 978-1695600911
Rückschau eines 83-Jährigen
Ein anderes „Wirtschafts“wunder
Der 1939 geborene Autor blickt zurück auf ein erst unglückliches, dann alkoholgetränktes und später abstinent-glückliches Leben.
Josef Schutzmeyer beginnt mit dem Leben seiner Eltern. Von seinem Vater Heinrich erfährt man, dass er Polizist und Parteimitglied der NSDAP war. Von seiner Mutter Maria erfährt man, dass sie aus Braunau (heute Broumov in der Tschechischen Republik) stammt und chemisch-technische Assistentin war. Die Familienverhältnisse der Mutter werden ausgebreitet, die Großtanten Hermine, Johanna und Marie, die Onkel Franz und Karl. Der Kurort, in dem der Vater die Mutter kennenlernte, wird beschrieben. Der Umzug nach dem Krieg nach Westdeutschland, Niedersachsen. Hier wird die Kindheit von Josef erzählt, dass er in der Schule keine Leuchte war und sein Vater des Öfteren sagte, dass er lebensunfähig wäre und es ein böses Ende mit ihm nähme. Er schildert seine Zeit als Heranwachsender im dörflichen und familiären Umfeld, die Schule, die Lehre, die Tanzschule, den ersten Alkohol. Hier ist schon fast die Hälfte des Buches durchschritten.
Zur neu gegründeten Bundeswehr meldet sich Josef freiwillig. Hier ist Bier ein normales Getränk, gerne auch in größeren Mengen getrunken. Nach seiner Dienstzeit nimmt er den erlernten Beruf in der Schuhhandelsbranche wieder auf, wechselt aber mehrfach den Arbeitgeber, wird Filialleiter eines großen Schuhhauses. Anschließend wechselt er in den Außendienst für einen Schuhhersteller. Nun kommt er richtig ins Saufen, fünf Tage in der Woche, alleine im Hotel und ständig Kundenkontakte erleichtern den Alkoholkonsum. Eine Trunkenheitsfahrt mit dem Geschäftswagen und 2,2 Promille endet im Graben und hat ein einjähriges Fahrverbot zur Folge und damit ist auch der Arbeitsplatz im Außendienst im Strudel des Alkohols untergegangen.
So kam er ins väterliche Geschäft, als Teilhaber und billige und willige Arbeitskraft. Diese Episode endete mit einem Zerwürfnis mit dem Vater, nachdem er seinen Führerschein zurückerhalten hatte. Er ging wieder in den Außendienst für eine Schuhfabrik. Mittlerweile hat Josef mit seiner Frau Gudrun zwei Kinder.
In der Erinnerung von Josef wurde in dieser Zeit immer und überall Alkohol getrunken, außer beim Frühstück, auch Josefs Frau Gudrun trinkt gerne mit. Josef bemerkt aber bei sich Abhängigkeitssymptome, weiß aber damit nicht anders umzugehen als weiter zu saufen. Dann versucht er, mittels kaltem Entzug dem Alkohol zu entfliehen, mit grausigen Entzugserscheinungen, deren Überwindung, einmal überstanden, mit „nur einem Korn und einem Pils“ belohnt werden.
Der Protagonist arbeitet nun als Fachberater in der Flachdachbranche, da die deutsche Schuhindustrie zu ihrem Ende kommt, und trinkt weiter, die Familie, die Kunden, die Vorgesetzten sehen über seine zitternden Hände und seine sich über den Tag steigernde Fahne hinweg, solange er funktioniert. Für ihn geht es aufwärts, bald steht das Eigenheim, er macht sich selbstständig, geht pleite und verliert aufs Neue bei einer Alkoholfahrt den Führerschein.
Ein Arzt verschreibt ihm Antabus, das aber nicht nachhaltig auf sein Suchtverhalten wirkt. Nach weiteren Eskapaden zieht sein Bruder, Psychologe, die Notbremse und schickt ihn in eine Selbsthilfegruppe.
Gruppe hilft, auch hier. Wie es weitergeht mit Josef, können Sie im Büchlein nachlesen.
JÜRGEN EICHMEYER, Innenansichten eines Alkoholikers, Leben ohne Alkohol, 96 Seiten, Softcover, novum Verlag, ISBN 978-3-99130-053-3, 15,50 Euro