Ich darf nochmal leben!

Serie: „Trocken bleiben – aber wie?“

Ich darf nochmal leben!

Seit fünf Jahren stellen wir Menschen vor, die seit einiger Zeit trocken leben. Wir wollen wissen, wie sie das erreicht haben, jeden Tag aufs Neue, bis daraus Monate und Jahre wurden. Ihre Erfahrungen können vielleicht dem einen oder anderen Betroffenen auch hilfreich sein. Für den folgenden Text haben wir mit Nancy aus Niedersachsen telefoniert und ihre Erfahrungen dann für sie und Sie aufgeschrieben.

Ich hatte gestern einen meiner drei Geburtstage im Jahr. Neben dem originalen und dem Tag meiner Notoperation ist mir der Trockengeburtstag der allerwichtigste überhaupt. Ich bin sooo dankbar dafür!

Ich hatte an diesem Tag vor zwei Jahren endlich ein Bett in einer Entgiftungsstation bekommen. Seitdem bin ich trocken. Vor allem auch dank der Facebook-Gruppe „Alkohol – Gemeinsam gegen die Sucht“. Dort habe ich viel lernen dürfen aus den Erfahrungen der anderen. Und 24 Stunden ist immer jemand da. Die ersten zwei Wochen waren nämlich wirklich schlimm, und da habe ich mir das zu Herzen genommen, was ich dort las. Es heißt ja, gute 24 Stunden das Glas stehen lassen … aber der besondere Tipp war: Wenn es ganz dicke kommt, mach eine Stunde daraus. Und wenn die um ist, wieder eine Stunde. Ich habe für mich daraus immer 30 Minuten gemacht, die ersten Wochen nach der Entgiftung. Ah, und wenn ich die geschafft hatte, dachte ich, dann schaffst du bestimmt die nächsten 30 auch. Das hat mich gerettet.

Nach einem Jahr ohne Rückfall hatte ich dann auch eine ambulante Therapie bei der Caritas angefangen, aber die Bahnverbindung war zu schlecht, drei Stunden habe ich dahin gebraucht, dazu ständige Zugausfälle. Also abgebrochen. Die Therapeutin sagte: Sonst heiße ich das nicht für gut, aber in Ihrem Fall bejahe ich das, denn Sie kamen hier schon mit einem sehr guten Fundament an durch ihre Facebookgruppe, ihre Gruppe vor Ort und die Suchtberatung und deshalb bin ich sicher, sie werden ihren Weg gehen.

Der Alkohol und ich

In meiner Jugend war ich einmal so richtig besoffen, danach habe 15 Jahre keinen Alkohol getrunken. 2010 dann saß ich wiedermal einsam in meiner Wohnung und dachte, könntest ja mal ein Schorle trinken. Damit hat es angefangen. Dann habe ich auch mit meinen Freunden getrunken. Und zuhause täglich. Ich hatte nie was auf dem Tisch stehen, sondern immer nur im Glas auf der Küchentheke neben dem Kühlschrank, immer ein Schluck Wein oder später Bier vor und ein Schluck nach der Zigarette … bis es irgendwann zwei Liter Wein am Tag wurden. Mit einem Hauch Wasser drin, denn brauchste nicht mal zu erwähnen, so ein Hauch war da drin. Wein hat viele Kalorien, also bin ich umgestiegen auf Bier. Im Höchstfall habe ich auch mal vier bis fünf Liter davon am Tag geschafft, sonntags meist. Ich habe aber immer erst getrunken, wenn alles am Tag erledigt war. So war mein Zuhause mein Gefängnis, das ich mir selber geschaffen hatte.
Ich hatte schon mal zwei Entgiftungen hinter mir. Danach habe ich es immer mit alkoholfreiem Bier und Wein versucht. Und war schnell wieder bei den prozentigen Sachen. Auch mit Baclofen habe ich es probiert. Es half nur die ersten zwei Wochen.
Und vor der letzten Entgiftung ging dann gar nichts mehr. Ich war am Ende und habe mir das Bier nur noch reingequält, damit ich keinen kalten Entzug habe – teilweise so, dass mein Stressmagen das gleich wieder rausgebracht hat.
Da war aber dieser Klick schon in meinem Kopf: Ich kann nicht mit und ich kann nicht ohne. Ich bin seelisch und körperlich abhängig … und gestern und heute Morgen noch standen mir die Tränen in den Augen, dass mir dieser Klick vergönnt war.

Warum ich getrunken habe?

Vielleicht von vorne: Der Alkoholismus liegt wohl in unserer Familie. Mutter, Stiefvater, Onkel, Bruder …man weiß ja nicht, ob es vererbt werden kann, auf jeden Fall vorgelebt. Ich habe eine sehr schlechte Kindheit gehabt. Meine Mutter hat mich geschlagen, bis der Kochlöffel zerbrochen ist. Mein Erzeuger auch. Oma und Opa mütterlicherseits wurden sozusagen meine Eltern, leider sind sie jetzt tot.

Dann hatte ich neun Jahre lang schwere bulämische Magersucht, dann Depressionen – als meine Schilddrüse behandelt wurde, verschwanden sie aber. Später bin ich vier Mal im Jahr zur Krebsvorsorge beim Frauenarzt: Man vermutet einen seltenen Gen-Defekt, ich hatte 19 schwere Krebsvorstufen. Das ist das Gleiche wie bösartiger Krebs, nur dass die Mauer zum Bindegewebe noch intakt ist. Dazu kamen dann Notoperationen, zum Beispiel die Gebärmutterentfernung, nach der ich geheilt sein sollte, aber nix war geheilt. 2008 kam noch die seltenste Form der Akne dazu, mit Lichtwellentherapie in Behandlung. Ich habe einen Gendefekt an der Lunge, einen Herzklappenfehler. Hatte Fuß- und Rippenbruch … so komme ich seit 1998 auf über 50 Operationen.

Und dann eben dieses Alleine-sein. Ich bin jetzt fast 19 Jahre Single, gehe aber nicht auf die Suche, entweder jemand findet mich oder ich finde jemanden.

Aber ich will nicht jammern, es ist so, ich kann es nicht ändern. Es war nur irgendwann alles zu viel für zwei Schultern …

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