Mia Gatow über ihr Buch, den SodaKlub und die Nüchtern-Bewegung:
Wir wollen das Stigma zerstören
Sie hat nicht nur ein bereits jetzt sehr erfolgreiches Buch geschrieben, „Rausch und Klarheit“– sondern vor einigen Jahren schon mit Mika Döring den SodaKlub Podcast gegründet. Der Podcast und das dazugehörige Online-Magazin zum nüchternen Leben hat inzwischen eine große Gefolgschaft. Mia und Mika, beide waren selbst alkoholabhängig, wollen ihre Freude am klaren Leben ohne Alkohol mit vielen Menschen teilen: Sie sind Aktivistinnen der neuen Nüchternheitsbewegung. Die TrokkenPresse hatte viele Fragen an Mia Gatow …
Erstmal zu deinem Buch, liebe Mia. Warum hast du es geschrieben?
Ursprünglich hatte ich es angefangen, um mir selbst meine Abhängigkeit zu erklären. Um dieses Thema zu rekonstruieren, eindrücklich zu verstehen. Dann habe ich gemerkt, dass ich mit meinem lückenhaften Wissen darüber nicht alleine bin, weil es ganz wenig besprochen wird. Also wollte ich ein bisschen zur Aufklärung beitragen – und auch das Image der Nüchternheit verbessern. Denn zu der Zeit, als ich aufgehört hatte zu trinken, gab es in Deutschland noch keine Blogs, keine Podcasts, keine Aktivistinnen. Nur Selbsthilfegruppen, die total stigmatisiert waren, kaum Information darüber, wie geil es ist, nüchtern zu sein. Ich will mit dem Buch ausdrücken, dass es einfach der bessere Seinszustand ist. Dass man das feiern kann. Dass man keine Angst davor haben muss, im Gegenteil, dass man sich darauf freuen kann.
Warum hast du diese … Jahre getrunken?
Alle um mich herum haben getrunken, ich habe mich einfach meinem Umfeld angepasst. Meiner Familie, in der später auch Menschen an Alkoholismus gestorben sind und dann auch mein Freundeskreis, als ich im Nachtleben von Berlin gearbeitet habe. Da nicht zu trinken hätte einen Reflexionsprozess erfordert, ich hätte mich bewusst damit beschäftigen müssen, um sagen zu können, nee, ich will das nicht. Dafür hat man ja erstmal keinen Grund, wenn das normal ist. Ich hatte keine tieferliegenden besonderen Probleme. Ich habe das gemacht, weil es einfach Normalität ist in unserer Gesellschaft.
Trifft das so auf die meisten jüngeren Menschen zu? Oder haben jüngere Generationen noch besondere Trink-Gründe?
Ich glaube, jeder Mensch findet irgendwelche Trinkgründe. Leid, Schmerz, Unsicherheit, Angst, das ist alles Teil des Lebens und keine Generationenfrage. Wobei ich die Kriegsgeneration rausnehme, weil sie wirklich extreme Dinge erlebt hat und extrem untherapiert war. Aber du findest ja im Jahr 2024 genauso Gründe, dich zu besaufen. Rechte Parteien auf dem Vormarsch, Gewalt gegen Frauen, Krieg … es ist ja nicht so, als würde das Leben immer besser und besser werden, wenn man nur ein paar Generationen wartet. Die Generation Z, die trinkt ja weniger statistisch gesehen, mir würden jetzt aber spontan ganz viele Gründe einfallen, warum ich trinken würde, wenn ich 23 wäre: Die Politik gibt‘n Scheiß auf diese Generation, die sind krass in der Minderheit, der Planet wird zerstört vor ihren Augen … klar trinkt man da, würde ich jetzt denken.
Bei den AA sagt man übrigens, trinken kommt vom Trinken. Und die Suche nach Gründen ist eine Ablenkungsstrategie.
Aha?
Alkohol ist eine Droge, die macht abhängig und ist stark normalisiert in unserer Gesellschaft, da braucht man nicht wirklich Ursachen zu erforschen. Wenn du eine Substanz hast, die billig und überall verfügbar ist, dich betäubt, dein Leben weichzeichnet und alle um dich herum sie nehmen, dann machst du das halt.
Stichwort Anonyme Alkoholiker. Du hast dort deine Kapitulation erlebt. Warum bist du dort und nicht beim Kreuzbund oder den Guttemplern?
Ich bin zuerst zu den AA gegangen, weil ich das Gefühl hatte, das ist das Original, ich kannte das aus meinen amerikanischen Serien, es war mir als Marke bekannt. Die anderen Vereine halt nicht. In Berlin gibt es auch sehr viele Meetings zur Auswahl. Und mir hat meine Gruppe so gut gefallen, dass ich nichts anderes mehr brauchte. Es war sofort ein Treffer, ein großes Glück.
Du hast weder Entgiftung noch Therapie gebraucht, nicht täglich getrunken. Gibt es unter deinen Lesern und Hörern auch mal die Meinung, du wärest ja nur eine „Alkoholikerin light“?
Klar, gerade in den sozialen Medien oder wenn Interviews veröffentlicht werden, unter den Kommentaren. Da gibt es Leute, die sagen, was will die Kleine uns denn erzählen, die hat ja gar nix erlebt, die war ja noch nicht mal in der Klinik.
Das hatte ich so geahnt …
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