Liebe Leserinnen und Leser,
wir haben uns entschlossen – auch für unsere vielen neu hinzugekommenen AbonnentInnen –, an dieser Stelle eine zwar zehn Jahre alte, aber nie und nimmer veraltete Wiederholung zu starten: AnDi’s ABC der Sucht. Von A bis Z teilte er darin seine damaligen Gedanken zu Abhängigkeit, Suchtmitteln, Suchthilfe und ja, auch Politik.
ABC der Sucht (aus der TrokkenPresse-Ausgabe 01/2015)
AnDi’s Gedanken zur Zeit
Mannes Tochter, die Ratten und das Belohnungssystem
Mannes Tochter ist jetzt 14 und immer für eine Überraschung gut. Für gute Zensuren in einer Klausur bekommt, nein, bekam sie regelmäßig zwei bis drei Euro. Neulich hat sie sich um Kopf und Kragen geredet: „Ich habe doch eine 1 geschrieben, das ist die Belohnung für die viele Arbeit vorher.“ Sie hat jetzt mit ihren Eltern verhandelt, dass sie ein höheres Taschengeld bekommt, aber keine „Belohnung“ mehr. Sie will damit jetzt auch den Schulbedarf decken. Was für ein Reifungsschritt! Mannes Tochter hat gelernt, den Eigenwert ihrer Leistungen als Erfolg zu erleben. Und sie hat ein Stück mehr Verantwortung für sich selber übernommen.
Wenn man Ratten statt Wasser Alkohol zu trinken gibt, dann steigern sie die Menge. Wenn man ihnen den Alkohol für eine Weile entzieht und dann wieder Alkohol anbietet, dann nehmen sie den Stoff sofort wieder (dankbar) an. Sie entwickeln also sowas wie ein „Suchtgedächtnis“. Das tun Menschen sicher auch. Menschen können aber, wie Mannes Tochter, den Umgang mit ihrem Gedächtnis steuern und neue Verhaltensweisen entdecken, deren Befriedigungscharakter spüren und zu einem Wohlbefinden gelangen, das ihnen keinen Schaden zufügt. So ein ganz kleines bisschen unterscheiden wir uns wohl doch von den Ratten, wenn man das bei manchen Menschen auch nur schwer erkennt.
Während wir bei der Ratte immer noch fragen, wie das Hirn funktioniert, weisen uns die Neurobiologen heute darauf hin, dass für Menschen inzwischen die Frage nach der Bedienung des Gehirns wichtiger geworden ist als die Frage, wie es funktioniert*. Bleibe ich bei den alten eingefahrenen Denkmustern oder erlaube ich mir, neue Wege zu gehen? Dafür sei das Gehirn bis ins hohe Alter beweglich, sagt zum Beispiel Neurobiologe Gerald Hüther. Je wichtiger einem das Anliegen ist, je mehr es einem unter die Haut geht, umso erfolgreicher könne man sein. Es lohnt sich daher, auf die Spur von Mannes Tochter von der Rattenforschung zum menschlichen Genusssystem zu gehen: Sie sucht nicht mehr die Belohnung von außen, sie findet Befriedigung in ihrer eigenen Aktivität. Nur wer Spannung kennt, kann sich auch entspannen, nur wer Appetit hat, kann auch satt werden, naja, Sie wissen schon …
… und bleiben Sie besonnen!
ANDI
*) Hüther, G., Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, Göttingen 2013, ISBN 978-3-525-40451-5