Wo die Angst ist …

Aus der Serie: „Trocken bleiben – aber wie?“

„Wo die Angst ist, ist der Weg“ – Danke mein Freund!

Seit fünf Jahren stellen wir Menschen vor, die seit einiger Zeit trocken leben. Wir wollen wissen, wie sie das erreicht haben, jeden Tag aufs Neue, bis daraus Monate und Jahre wurden. Ihre Erfahrungen können vielleicht dem einen oder anderen Betroffenen auch hilfreich sein. Den folgenden Text hat uns Thomas gesendet.

Mein erster bewusster Griff zum Alkohol war mit etwa 14. Es war der 40. Geburtstag meiner Tante, ein großes Gartenfest, und mein Onkel stellte mich hinter den Ausschank. Ich sollte den Gästen Radler einschenken und war ziemlich nervös. Dem Tipp, überschüssigen Schaum einfach in ein Glas abzufüllen, kam ich nach. Anfangs lief einiges schief, und ich trank kurzerhand selbst ab. Das Bier schmeckte unerwartet gut – und … ich wurde ruhiger, lockerer. Nach einiger Zeit sprachen die Erwachsenen mit mir. Das war ziemlich ungewohnt, denn normalerweise war ich der, der nur mit dabei gewesen ist. Ich wurde zum ersten Mal gesehen. Ich wurde mutiger und hab mir vor allen ne Zigarette angezündet. Für meine Familie war es normal, dass ich in dem Alter trank und rauchte, taten es doch alle zu dieser Zeit.

Jahre später erzählte mir mein Onkel, dass ich an diesem Abend betrunken genug gewesen sei, um nichts vom heftigen Streit zwischen meinen Eltern und ihm mitzubekommen. Und da dämmerte es mir: Der Alkohol hatte mich nicht nur beruhigt – er hatte mich abgeschirmt. Vor Lärm, Gewalt, Angst – vor der Wahrheit. Mein Vater war alkoholkrank und schlug regelmäßig meine Mutter. Und sie? Nahm ihn in Schutz. Wenn ich sie darauf ansprach, sperrte sie mich ein oder schlug mich selbst. Ich hatte früh gelernt: Gefühle unterdrücken, bloß nicht auffallen. Und der Alkohol half mir dabei.

Ich erkannte schnell: Trinken ließ mich nicht nur dem Alltag entfliehen, sondern verschaffte mir Aufmerksamkeit. Ich fühlte mich angenommen. So wurde Alkohol zu meinem ständigen Begleiter – so, wie ich es eben von zu Hause kannte. Es wurde zu jedem Anlass getrunken. Ich suchte mir Freunde danach aus. Wer beim Trinken mithalten konnte, kam in mein Leben, die Langweiler kickte ich raus. So wechselte ich pausenlos die Cliquen und Freunde. Ging es mir schlecht, saß ich oft allein mit einem Sixpack auf einem Spielplatz. Ging es mir gut, war ich der Spaßvogel auf jeder Party. Ich hinterfragte mich nicht, sondern wunderte mich über diejenigen, die nie mit mir mittrinken wollten. Langweiler eben …

Das erste Mal, dass ich bewusst spürte, dass etwas nicht stimmt, war 2007. Ich war Zeitsoldat und meine damalige Frau erwartete unser zweites Kind. Bei einer Bundeswehr-Jubiläumsfeier bat ich meinen Vorgesetzten, meiner Frau zu erzählen, ich hätte Wachdienst – nur damit ich ungestört trinken konnte. Solche Ausreden waren Alltag. Ich musste zu Hause funktionieren: Garten, Kinder, Hunde, Elterntaxi. Tat ich es nicht, folgte Liebesentzug – genau wie in meiner Kindheit. Über mein eigenes Geld verfügte ich kaum, jede Ausgabe musste ich erklären. Wehe, wenn ich mal 20 € für ne Brotzeit abhob, dann war bei meiner Ex-Frau Polen offen. Sie teilte mir mein Geld und auch die Freunde ein, ganz so, wie ich es als Kind von meiner Mutter her gewohnt war. Also soff ich immer mehr, das schlechte Gewissen, die Scham und mein Ärger über meine Unfähigkeit, meiner Ex-Frau die Meinung zu sagen, wurden immer heftiger. Irgendetwas musste ich ändern, denn die Aussagen meines Umfeldes, „Trink nich so viel / Trink halt mal weniger“ nervten mich.

Ich kämpfte von da an weitere 16 Jahre mit dem Versuch, meinen Konsum zu kontrollieren. Mal nur Radler, mal Weinschorle, mal alkoholfreies Bier. Ich schaffte es sogar, ein paar Wochen gar nichts zu trinken (z.B. während der Fastenzeit) – …

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