Gedanken zur Zeit – ABC der Sucht

Liebe Leserinnen und Leser,

wir haben uns entschlossen – auch für unsere vielen neu hinzugekommenen AbonnentInnen –, an dieser Stelle eine zwar zehn Jahre alte, aber nie und nimmer veraltete Wiederholung zu starten: AnDi’s ABC der Sucht. Von A bis Z teilte er darin seine damaligen Gedanken zu Abhängigkeit, Suchtmitteln, Suchthilfe und ja, auch Politik.

ABC der Sucht (aus der TrokkenPresse-Ausgabe 02/2015)

AnDi’s Gedanken zur Zeit

Das hohe „C“ – die Cannabis-Legalisierung

Mein Philosophielehrer – Gott habe ihn selig – beschied mich einmal mit der Bemerkung, es wäre doch besser gewesen, ich hätte geschwiegen, als ich so haarscharf an einem mir aufgegebenen Thema vorbeischlidderte wie jetzt die geschätzten Persönlichkeiten Özdemir und Gysi, als sie sich in der Huffington-Post wieder einmal der Legalisierung des Cannabis zuwandten und mit flotten Sprüchen die Skeptiker entwerteten.

Natürlich könnte man Cannabis legalisieren, aber darum geht es im Kern gar nicht, sondern um die gesellschaftliche Einstellung zu Suchtmitteln. Seit nicht mehr immer und überall geraucht werden kann, rauchen weniger Jugendliche – und kein Hard-Core-Raucher wurde in seiner Freiheit beschnitten, sich 400 Schadstoffe in die Lunge zu inhalieren. Er darf es nur nicht mehr überall, weil manche Intimitäten – aus Verantwortung für andere – nicht in die Öffentlichkeit gehören. Jede Freiheit hat ihre Grenze, weil anarchistische Freiheit keine ist.

Jeder, der Cannabis rauchen möchte, kann das schon heute tun. Was uns fehlt, ist keine Legalisierung, was uns fehlt, ist eine wohlwollende Kultur im Umgang mit unserem und dem Leben anderer Menschen. Zu Tabak, Cannabis, elektronischen Geräten, Alkohol, Internet, Spiel und deren sinnvollem Konsum können junge Menschen viel lernen, viel mehr als die schädlichen Nebenwirkungen der Stoffe. Das Erlernen von Genuss ohne schädlichen Konsum und zerstörerisches Verhalten gehört in die Entwicklung der Persönlichkeit.

Den Weg von der Freude an der Belohnung zum Eigenwert des Genießens von sportlichen und geistigen Leistungen, einer Freundschaft, die schon mal eine Krise überstanden hat oder humanen Weltanschauungen, in denen man einen Sinn für sich und sein Leben finden kann, lernen Kinder bis zur Pubertät – wenn es dafür Vermittler gibt, uns Eltern etwa. Oder kennen wir schon selbst nicht mehr das Vergnügen an der Leistung, die Freude auf einen anderen Menschen oder das spirituelle Gefühl des Geborgensein in unseren Überzeugungen? Der Verlust solcher Werte führt zur Sucht, nicht der Kiosk, in dem es spätestens 2020 auch Cannabiszigaretten geben wird.

Und damit wir uns nicht falsch verstehen: Cannabis löst die Hemmungen im Straßenverkehr, erhöht die Vulnerabilität, die Empfindlichkeit für Psychosen, der Alkohol frisst Leber und Hirn, der Tabak die Lunge, Sucht löst unsere inneren Verbindungen von Geist, Körper und Seele.

Wenn bei uns Menschen würdig (Hartz IV sind nur mit 399 Euro) leben können, Flüchtlinge nicht mehr bedroht werden (meine Großmutter ist aus dem Osten geflüchtet), jeder seine sexuelle Neigung leben kann, ohne dass dadurch jemand zu Schaden kommt (hinter einem Kinderpornofoto steckt die Zerstörung der Integrität mindestens eines Kindes für sein ganzes Leben, Herr Edathy*) und Frau Merkel (von mir aus …) den Friedensnobelpreis bekommt, weil Russland und die Ukraine eine friedliche Lösung gefunden haben, Frauen in den Emiraten nicht mehr gesteinigt werden und Schwarze in Fergusson nicht mehr erschossen, dann, dann … haben wir Zeit für die Diskussion über die Legalisierung von noch mehr Suchtmitteln.

Und übrigens, ich habe das Thema nicht verfehlt, weil es nicht um Sucht, sondern um Verhinderung von und Alternativen zur Sucht geht. Was ich mir vorwerfen muss, ist die Vernachlässigung des Themas „C“oabhängigkeit. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bleiben Sie besonnen!

AnDi

*) Und ja, ich muss noch viel üben, mich über so lächerliche 5000 Euro Ablasshandel und die blöde Bemerkung zum „Geständnis“ nicht zu ärgern