Liebe Leserinnen und Leser,
wir haben uns entschlossen – auch für unsere vielen neu hinzugekommenen AbonnentInnen –, an dieser Stelle eine zwar zehn Jahre alte, aber nie und nimmer veraltete Wiederholung zu starten: AnDi’s ABC der Sucht. Von A bis Z teilte er darin seine damaligen Gedanken zu Abhängigkeit, Suchtmitteln, Suchthilfe und ja, auch Politik.
Aus „ABC der Sucht“, TrokkenPresse 04-2015
AnDis Gedanken zur (damaligen) Zeit – vor zehn Jahren
Vom kindersensiblen Umgang mit der Sucht der „E“ltern
Diese Ausgabe der TrokkenPresse beschäftigt sich mit „Kindern aus suchtbelasteten Familien“. Da könnte sich der Kolumnist des „ABC der Sucht“ mit dem Buchstaben „E“ mit schlankem Schuh aus der Affäre ziehen – etwa mit „E“ wie „Entzug“ oder „Entwöhnung“. Das wären wegweisende Themen, zu denen dem geneigten Schreiber etwas Hoffnungsvolles, ja fast Alternativloses einfällt. Aber Auswege aus dem Elend der Eltern und Kinder, die mit frühem „E“instiegsalter schlechte „E“rfolgsaussichten haben und möglicherweise einschlägige „E“rbfaktoren mitbringen, zu überlegen, scheint mir ein Feld zu sein, welches noch nicht gut bestellt ist. Ja, es gibt die Fälle der Kinder aus Familien mit kranken Eltern, die in späteren Jahren ihre Erfahrungen zur Reifung der Persönlichkeit verwenden konnten. Das ist kein Trost. Machen wir uns nichts vor, zwei trinkende Elternteile sind in der Regel Gift für die Entwicklung eines Menschen und hinterlassen eine verlorene Kindheit. Was kann man tun?
Soll man diese Kinder aus den Familien holen? Der Verlust auch noch so schwacher Eltern führt nicht selten zu einem zusätzlichen Trauma, der Wechsel der Bezugspersonen nicht regelmäßig zu einer gelungenen Entwicklung des Kindes. Inzwischen gibt es Familienhelfer und andere pädagogische Maßnahmen, die gelegentlich hilfreich sind und dem kranken System der Familie auf die Beine helfen können. In vielen schwierigen gesellschaftlichen Bereichen spricht man heute von kultursensiblem Umgang. In der Suchthilfe, den pädagogischen Institutionen vom Kindergarten bis zur Schule, in der Nachbarschaft und im Freundeskreis könnte es sich lohnen, einen kindersensiblen Blick für die Notsituationen Heranwachsender zu entwickeln und entsprechend zu reagieren. Aus unterschiedlichen Gründen wird mancher dazu neigen, zunächst taktvoll zurückhaltend gegenüber Hinweisen auf kindliche Notsituationen aus der Sucht der Eltern zu sein, aber ist es nicht besser, sich eine Rüge wegen grenzüberschreitenden Nachfragens einzuholen, als sich im Nachhinein fragen zu müssen, ob man die Not eines Kindes einfach übergangen hat?
Einem Mitarbeiter der Redaktion der TrokkenPresse fiel noch das Wort „Engel“ beim Buch staben „E“ ein. Engel sind Boten Gottes – so wie ihn jeder für sich versteht. Warum kann es nicht zur Aufgabe einer und eines Jeden werden, sich als Engel zu verstehen. Wie wäre es, wenn viele Menschen dazu beitragen, dass selbstbewusste Kinder zu (eigen-)verantwortlichen Erwachsenen werden. Wie wäre es, wenn wir Kindern Mut machen, sich zu artikulieren, auch wenn es manchmal nervend ist. Kinder, die es gelernt haben, sich zu artikulieren, können möglicherweise ihr Elend in angemessener Form ansprechen, ohne die Angst entwickeln zu müssen, dass das Tabu der Sucht ihrer Eltern zum Desaster ihrer Kindheit wird.
Ich sehe keine allgemeingültigen Lösungen, keine Aufträge an die Politik, keine Schuldzuweisung, sondern nur meine Chance, auch diesen Problemen mit offenen Augen und Ohren, mit klarem Kopf und zugewandtem Herzen entgegen zu gehen und zu überlegen, welche Funktion ein Engel gegenüber Kindern aus suchtbelasteten Familien haben könnte – von der Thematisierung beim Elternabend bis zur individuellen Nachfrage bei auffälligem Verhalten von Eltern und Kindern.
Dabei lohnt es sich, besonnen zu bleiben,
AnDi