TrokkenPresse 01/24: Wie sage ich jemandem, dass er zu viel trinkt?

Wie sage ich jemandem, dass er zu viel trinkt?

Ja, und vor allem: Sollte ich das überhaupt? Muss ich denn Freunden, Kollegen oder PartnerInnen meine sorgenvolle Beobachtung mitteilen – und wenn ja, wie am besten? Die TrokkenPresse im Gespräch mit Psychologin Heike Herzberg, Leiterin der Suchtberatungsstelle des PBAM e.V. in Berlin-Wilmersdorf.

Woran bemerke ich überhaupt, dass jemand im Umfeld missbräuchlich trinkt und vielleicht sogar bereits suchtgefährdet ist?

Zum Beispiel, wenn er oder sie öfter betrunken ist, die Kontrolle über den Konsum verliert. Oder sehr schnell trinkt. Oder zu unüblichen Zeiten, tagsüber. Und man bemerkt es auch daran, dass sich die Person verändert. Wenn ich z.b. beobachte, einer Freundin geht es jetzt nicht mehr darum, mit mir zusammen zu sein, sondern vor allem darum, mit mir zu trinken. Es kann auch sein, dass sich der Mensch zurückzieht, nicht mehr telefonisch zu erreichen ist oder wenn doch, dann immer schon etwas getrunken hat. Oder Verabredungen nicht einhält und danach merkwürdige Erklärungen dazu hat …

Auch das Herunterspielen von Problemen ist ein Kennzeichen: Da hat beispielsweise jemand den Führerschein verloren und bagatellisiert es trotzdem. Oder wenn es unter Alkoholeinfluss zu bösen Streitereien kommt bis hin zu Gewalt, oftmals gerade auch in Partnerschaften. Aber sehr wichtig ist auch das eigene Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt …

Muss oder sollte ich denn das Thema nun ansprechen?  Es fühlt sich sehr heikel an …

Ich muss natürlich nicht die Welt retten. Ich muss gar nichts. Genauso wie der Betroffene, der muss auch nichts. Die Frage ist meine eigene Motivation. Habe ich einen starken Antrieb, mit demjenigen zu sprechen? Das wäre wie ein Geschenk an ihn: Denn es ist mutig, jemanden auf seinen Alkoholkonsum anzusprechen. Man muss ja mit Abwehr rechnen. Ein sehr unangenehmes Unterfangen.

Was könnte denn ein Antrieb sein?

Manchmal ist es die Sorge um den anderen, oftmals aber auch, dass ich mitbetroffen bin. Und zwar durch Ärger, der durch das Trinken entstehen kann oder weil sich vielleicht die Freundin so verändert, dass ich kaum noch in Kontakt mit ihr komme. Es kann auch eine Kollegin sein, die nicht mehr so konzentriert arbeitet und viele Fehler macht und ich muss das immer ausbügeln …

Wann und wie sollte ich denjenigen ansprechen?

Ich würde mich mit einer Freundin zum Beispiel mal vormittags zum Kaffee verabreden und auch ankündigen, dass ich gerne etwas mit ihr besprechen würde. Im Gespräch dann ist es immer besser, ihr nicht zu sagen, was sie tun soll oder sie mit Vorwürfen zu überschütten oder ihr gar zu drohen, die Freundschaft zu kündigen, wenn sie sich nicht ändert – so nicht! Wichtig ist, eher liebevoll, wertschätzend und vor allem bei sich selbst zu bleiben, das eigene Erleben mitzuteilen: Ich mache mir Sorgen …, ich habe beobachtet, dass du viel trinkst… ich nehme wahr, dass Alkohol dir wichtiger wird als ich … o.ä.

Du sagtest, es braucht Mut, jemanden auf seinen hohen Alkoholkonsum anzusprechen. Wieso?

Weil man fürchtet, wenn ich das anspreche, gibt es Zoff. Bis hin zur Kündigung der Freundschaft. Es fühlt sich an wie Einmischung in das Leben des anderen, wie ein Tabubruch. Es gibt so eine gesellschaftliche Scheu, jemanden auf seinen Alkoholkonsum anzusprechen, wir haben ja diese Trink-Unkultur, sogar Sauffeste wie das Oktoberfest – und wenn ich jemanden auf sein Trinken anspreche, komme ich in so eine Situation: Ach, das ist so eine, die hat keinen Spaß am Leben. Es ist jedenfalls etwas sehr Persönliches, und deshalb fühlt es sich unangenehm an. Und ich ahne, dass der andere es abwehren wird.

Abwehr – eine normale psychologische Reaktion?

Eine Art Schutzmechanismus. Es ist selten, dass jemand angesprochen wird und meint: Ich bin echt froh, dass das endlich mal jemand gesagt hat! Sondern was kommt als erstes in dem Betreffenden hoch? Das Gefühl, ich bin ertappt. Ich schäme mich. Oftmals spürt ja der Betroffene selbst, dass da irgendwas nicht stimmt und denkt aber, solange die anderen nichts sagen, merken sie ja nichts. Das ist aber ein Riesenirrtum. Mit Abwehr sollte man also immer rechnen.

Was hältst du von einer „Konferenz“, also wenn zum Beispiel Freunde und Familie gemeinsam den Betroffenen zum Gespräch bitten?

Großartig. Ganz toll!

Oh je, alle gegen einen, ich als Betroffene würde mich dann sehr schlecht fühlen, bedroht, ganz klein mit Hut. Meinst Du nicht?

Es kommt natürlich darauf an, wie die Familie oder die Freunde dann mit dir reden. Es ist ja auch eine Form der Wertschätzung: Du, wir kommen jetzt alle zusammen, sind extra angereist, haben uns frei genommen, um mit dir zu reden, denn wir machen uns große Sorgen und wir wünschen uns, dass du was änderst. Ja, das ist natürlich unangenehm … Aber es kann hilfreich sein. Es kann nachwirken. Dass sich dann gleich etwas ändert, ist natürlich nicht gesagt.

Sollte man nun diese verständliche Scheu dennoch überwinden und das Thema ansprechen, auch wenn man es gar nicht müsste, wie Du sagtest?

Was meinst denn du selbst dazu aus Sicht einer Betroffenen, ist es denn immer gut, wenn jemand etwas sagt, wäre das am besten?

Schwierig. Ich habe auch erstmal Abwehr gezeigt: Ja, kann sein, ich trinke manchmal zu viel, aber nicht mehr als andere zu viel … Aber ehrlich: Kaum jemand hat mich auf meine Sauferei hin angesprochen! Es gab mal Andeutungen und Getuschel, das ja. Im Nachhinein, heute, wäre ich dankbar, wenn es ein paar Leute mehr gewesen wären, die vielleicht auch mal ein liebevolles Gespräch mit mir nicht gescheut hätten. Dann hätte ich vielleicht früher erkennen können, was wirklich mit mir los ist. Ich habe ja lange gedacht, es ist normal und alle trinken abends eine Flasche Wein. Oder zwei.

Ich denke, Betroffenen kann es viel eher helfen, wenn man seine Scheu ablegt und nicht so eine Angst vor den Reaktionen hat. Was soll Schlimmes passieren? Eine gekündigte Freundschaft? Wenn das der Preis wäre, ist es gegen eine tödliche Krankheit nur ein kleiner, oder? Ja, heute glaube ich, je mehr Leute was sagen und je häufiger man das hört, desto eher kann ein Betroffener auf den Trichter kommen, ah, da ist wohl wirklich was … Kannst du das jetzt nachvollziehen?

Jetzt so aus deiner Sicht auf jeden Fall! Aber es gibt ja auch Beispiele aus der Partnerschaft, wo die Frau permanent sagt, du trinkst zu viel, hör mal auf … sie ist dann eh schon die Person, bei der der Trinkende mit den Augen rollt. Also man muss dann wirklich die Situation ansehen. Wenn es dann nämlich der Arbeitskollege sagt, oder sich Kollegen zusammentun für ein Gespräch … das ist ein Riesengeschenk, dass andere sich so viele Gedanken machen, auch wenn das vom Betroffenen nicht so erlebt wird erst einmal. Es kommt immer irgendetwas an. Auch, wenn sich erstmal gar nicht viel ändert. Aber es ist wichtig, zu signalisieren, ich sehe da was, da ist was mit dir, ich mache mir Sorgen. Es ist eine Chance. Handeln muss dann letztlich der andere selbst …

Für das Gespräch bedankt sich: Anja Wilhelm

TrokkenPresse 06/23: Komm einfach her!

Die 6-Wochen-Therapie in der Anonyme Alkoholkrankenhilfe Berlin (AKB e.V.)

Komm einfach her!

Für alkoholkranke Menschen in Berlin ist der AKB ein fester Begriff. Ein Synonym für Hilfe in der größten Not. Für ein tägliches Zuhause, ob in der 6-Wochen-Therapie oder auch länger, wenn man will. Viele hunderte Menschen wurden dort in über 48 Jahren des Bestehens für immer trocken, weil sie neu zu leben lernten, in Gemeinschaft mit anderen Gleichgesinnten. Das Besondere und wohl bundesweit Einzigartige: Es ist ein reines Selbsthilfeprojekt. Es gibt weder Ärzte, Therapeuten noch Sozialarbeiter. Weder langwierige Antragstellungen noch monatelanges Warten auf einen Platz. Hier helfen Betroffene Betroffenen. Sofort. An sieben Tagen jeder Woche, von 9 bis 21 Uhr, ist jemand da …

Ein einfaches Einfamilienhaus in einer kleinen, ruhigen Straße, zwischen Botanischem Garten und Dahlem-Dorf. Der Garten grünt noch, durch die Bäume und Sträucher lugen ein Grillhäuschen und ein großer Gartentisch hervor. Auf der Terrasse sitzen und unterhalten sich Leute im Herbstsonnenschein, eine Mugge läuft von irgendwo. Durch die offene Tür Geschirrklappern.

So pirsche ich mich nämlich erstmal außen am Zaun entlang und gucke. Und das haben wohl vor mir schon viele Alkoholkranke so getan, vor diesem ersten großen Schritt dann hinein ins Haus und damit in einen Neustart des Lebens …

Die Gartenpforte ist unverschlossen, die Haustür mit Willkommensgruß ebenso. Man geht einfach hinein. So ist das hier. Ich stehe im Flur und alsbald spricht mich auch jemand sehr freundlich an: „Wie kann ich Dir helfen?“ Ich fühle mich wirklich willkommen. Sogar zum Mittagessen werde ich eingeladen, in den großen Raum mit den Tischen in U-Form. Als würde ich jetzt dazugehören. Heute gibt es Schnitzel. Heiner hat gekocht. Nach dem Essen und einem Dankeklopfen für den Koch räumen einige der Tagesgäste die Teller in die Küche, waschen ab, wischen die Tische wieder rein. Jeder weiß, was zu tun ist. Es erinnert ein bisschen an das Leben in einer Großfamilie. Und Manfred, er hat noch den Wischlappen in der Hand – er ist schon über sechs Wochen täglich hier seit einem Rückfall – sinnt nach und sagt: „Jedes Mal, wenn ich hier durch die Tür komme, ist es wie Magie für mich. Die ganzen schlechten Dinge bleiben irgendwie draußen. Ich werde freundlich begrüßt, von Leuten, die auch verstehen, was ich sage und meine …“

Heiner, seit sieben Jahren trocken, kocht und kauft aber nicht nur für alle Mahlzeiten ein: Er ist der Suchthilfekoordinator des Vereins. Meist der erste Ansprechpartner, ob ein Hilfesuchender anruft oder einfach vor der Tür steht. Er und Gaby vom Vorstand des Vereins, sie ist seit 23 Jahren abstinent, leiten mich für unser Interview die Treppe nach oben, in eins der zwei Zimmer, die den Tagesgästen in ihrer Freizeit zur Verfügung stehen …

Wenn ich jetzt zum Beispiel einen Rückfall hätte, also in Not wäre, weder ein noch aus wüsste …

Gaby: Einfach anrufen oder gleich herkommen!

Heiner: Wir sind von 9 bis 21 Uhr da, auch sonntags, feiertags. Wir warten auf Leute wie dich. Komm rein, setz dich hin, hör zu, sprich mit uns, wir schauen gemeinsam, welche Hilfe du brauchst. Und du kannst hier sofort anfangen mit der 6-Wochen-Therapie …

Sofort anfangen?

Heiner: Wenn du die sechs Wochen lang teilnehmen willst, lässt du dich zuerst von deinem Hausarzt krankschreiben. Du bist ja krank, du bist süchtig, du willst deine Sucht bekämpfen. Dann geht es los, Von morgens 9 Uhr bis 21 Uhr bist du dann täglich hier.

So lange, bis 21 Uhr?

Heiner: Ja, das ist gerade wichtig! Wir möchten dir einen Rahmen schaffen, indem du einen Schutzraum hast. Die meisten Betroffenen sitzen doch nach der Arbeit zuhause und trinken dann wieder.

Gaby: Und du sollst so auch wieder einen geregelten Tagesablauf finden. Schon durch die Mahlzeiten hier bei uns, Frühstück, Mittag, Abendbrot.

 Wie läuft denn so ein Tag ab?

Heiner: Wir decken morgens gemeinsam den Tisch, nach dem Frühstück wird das Haus erstmal ein bisschen saubergemacht, 10 Uhr beginnt die Morgengruppe. Mit einem Vereinsmitglied, der ein Thema mit den Leuten bearbeitet. Zum Beispiel „Alkohol am Arbeitsplatz“, „Rückfallprophylaxe“, „Alkohol und Beziehungen“ usw. Das geht bis 12 Uhr. In der Zeit mache ich Beratungen, Bürokram und Mittagessen. 12.30 Uhr ist Mittag, dann Freizeit. Ob mit Mittagsschlaf, Laub harken, malen, lesen, freiwilliger Gartenarbeit, mit Gesprächen untereinander oder nach einer Eingewöhnungszeit auch Spaziergängen im Botanischen Garten. Oder jemand hat Arzttermine oder anderes zu erledigen. Du lernst hier wieder, wie Leben ohne Alkohol funktioniert, entdeckst dich neu. 17 Uhr gibt’s Abendbrot. Um 19 Uhr die Abendgruppe, eine offene Selbsthilfegruppe, zu der jeder, der ins Haus kommen will, kommen kann.

Wer leitet die Gruppen?

Heiner: Langjährig trockene Vereinsmitglieder, wir haben sieben Gruppensprecher hier im Haus, aber auch noch 20 AKB-Gruppen in verschiedenen Stadtteilen. Die ersten zwei Wochen erwarten wir, dass sich die Therapie-Teilnehmer alle Gruppen hier angucken, und dann können sie auch Außengruppen besuchen.

Warum ist euch das mit den Gruppenbesuchen so wichtig?

Heiner: Mir als Süchtigem soll bewusstwerden, dass eine Selbsthilfegruppe für mich ein MUSS ist, weil ich dort über meine Probleme reden kann, statt sie zu ertränken.

Kann ich in den sechs Wochen auch mal wegbleiben, wenn ich mal keinen Bock habe oder einen Rückfall?

Heiner: Du unterschreibst zu Beginn unsere Teilnahmebedingungen. Darin verpflichtet sich der „Therapist“, sechs Wochen lang von 9-21 Uhr teilzunehmen, an sieben Tagen der Woche. Darin steht auch, dass wir bei einem Rückfall die Therapie beenden müssen. Wir sind zwar immer noch mit den Gruppen und mit Gesprächen für dich da, aber du musst ja erstmal wieder zu dir finden, entgiften. Wenn es dir wichtig ist, abstinent zu leben, dann kommst du wieder. Wenn wir Rückfälle nicht ausschließen würden, müssten wir andauernd mit Rückfällen leben, es wäre für die Leute egal, ob sie rückfällig werden. Ein Rückfall kann passieren, sollte aber nach Möglichkeit nicht stattfinden.

Gaby: Aber wenn du nicht kommen kannst, weil du Migräne oder sonst was hast, rufst du an, dann wissen wir Bescheid, gut wäre ein Nachweis vom Arzt. Man muss also auch nicht mit Schnupfen oder Husten herkommen.

Ist eine Entgiftung Voraussetzung?

Heiner: Das Suchtmittel sollte schon aus dem Körper ausgeschwemmt sein. Es kann sonst hier zu medizinischen Notfällen kommen, die wir nicht beherrschen können, ich bin kein Arzt. Dafür gibt es Entgiftungsstationen.

Gaby: Aber die Plätze sind weniger geworden. Wir wollten hier gerade zwei Leute ins Krankenhaus bringen, aber die kriegen keinen Platz. Sie müssen jeden Tag um 7 Uhr anrufen und wenn du eine Woche lang warten musst, dann ist das gefährlich, der Arzt rät dann meist zum Weitertrinken. Das ist so ein Ding, wenn ich mich schon dazu durchgerungen habe, nicht mehr zu trinken. So werden die Menschen in der Sucht gehalten. Wir versuchen zu helfen, aber uns sind da die Hände gebunden.

Wer genau findet den Weg hierher?

Gaby: Sie kommen aus ganz Berlin. Vom Professor, Arzt, Polizisten, Feuerwehrmann, Lehrer über Pfleger bis zum Straßenfeger. Ein ganz klarer Durchschnitt der Bevölkerung. Und die Leute sind jünger als früher, sogar schon mit Mitte 20 kommen sie her, meist polytox.

Heiner: Alkohol ist bei den Jüngeren eher das Begleitmittel von anderen Drogen heute. Es gibt wenig reine Alkoholiker.

Habt ihr eine Art Therapieziel, außer dem, dass jemand trocken bleibt?

Heiner: Ich möchte, dass es für die Leute selbst hier IHR Ziel wird, trocken zu leben. Und dass sie Hilfe zur Selbsthilfe anzunehmen lernen. Ich kann niemandem garantieren, wenn er nach den sechs Wochen geht, dass er geheilt ist. Aber ich kann jedem garantieren, dass, wenn er weiter in Gruppen geht, das Rückfallrisiko geringer ist. Weil er da die Möglichkeit hat, über das Problem, was ihn gerade triggert, zu sprechen.

Gaby: Ja, auch dass sie ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln …

Heiner: Wir wollen hier zeigen, wie wichtig es ist, im Kontakt mit anderen Betroffenen zu sein. Als Süchtiger habe ich gedacht, ich bin der Einzige, der zu blöd ist, mit der Sauferei aufzuhören. Jeder denkt, er sei alleine. Aber alleine kann man nicht aufhören. Gemeinsam aber stärken wir uns. Das ist Selbsthilfe. Man achtet aufeinander und sogar Freundschaften entstehen …

Gaby: … das ist wichtig, denn die alten Saufkumpane muss man vergessen. Es entwickelt sich hier so eine Art Heimatgefühl.

Heiner: Und wir versuchen, dass du hier begreifst: Selbsthilfe ist mein Anker im Leben. Wenn mal gar nichts mehr greift, ich mit niemandem reden kann, dann ist irgendwo eine Selbsthilfegruppe, wo ich mich zuhause fühlen kann.

Ich habe gehört, früher war der Ton hier sehr rau und deftig …

Gaby lacht: Wann haste denn das gehört, anno dutz? Aber das stimmt. Das war früher so, da hatten wir eine ganz andere Klientel als heute. Als ich hergekommen bin, saßen da so 100 Jahre alte Knastleute, der Ton war so herrschsüchtig, dass ich dachte, hier bleibe ich nicht. Da konnten die Neuen sagen, was sie wollten, die sind denen immer in die Parade gefahren und das verängstigt, man nimmt sich zurück und sagt gar nichts mehr. Aber das ist lange her. Im Laufe der Zeit haben wir daraufhin gearbeitet, dass sich der Ton ändert, dass man normaler miteinander umgeht.

Heiner: Ich denke, das war ein Spiegel der Gesellschaft, früher war der Ton generell rauer. Selbsthilfe ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Heute wird eher versucht, alles zu umschiffen. So, wie die Gesellschaft draußen weicher geworden ist, schlägt sich das auch im AKB nieder. Das geht heut nicht mehr: Ich geb dir eins auf die Fresse, wenn du mir blöd kommst …

Gaby: … in den Außengruppen kann das schon noch mal passieren …

Heiner: Wir finden es jedenfalls wenig hilfreich, angemotzt zu werden, wenn man trocken werden will, da muss man schon mal einen guten Mittelweg finden, denn zu liebevoll sein hilft auch nicht. Wir stellen uns heutzutage mehr auf die Klienten ein, mit mehr Empathie.

In Anonyme Alkoholikerhilfe stecken die Worte Anonyme Alkoholiker, AA, ist das Absicht?

Gaby: Vor 48 Jahren gründete sich der AKB aus einer Splittergruppe der AA, daher der Name.

Heiner: Bei uns geht es heute nicht um Religion, nicht um Politik oder Sport, sondern es geht um unsere Sucht hier. Und viele haben Probleme mit Gruppen, die religiöse Ansätze haben. Deshalb hatten wir uns als AKB zusammengefunden.

Kommen wir mal noch zum Geld: Was muss ich als Therapist bezahlen?

Heiner: 50 Euro Kostgeld pro Woche für die Mahlzeiten. Weiter nichts.

Und wie finanziert ihr dann das Haus, euch selbst usw.?

Heiner: Das Haus haben wir zu günstigen Konditionen als Selbsthilfegruppe angepachtet, es ist Erbpacht. Wir sind zurzeit durch Krankenkassenförderung und Pep-Zuwendungen (Psychiatrieentwicklungsprogramm, d.Red.) vom Bezirk finanziert, z.B. meine 30-Stundenstelle als Berater. Ansonsten ist das alles Eigenleistung, durch den Verein, den Förderverein und Spenden. Auch in den Außengruppen geht ein Hut rum. Gut betuchte Mitglieder kaufen auch mal ein, wenn etwas gebraucht wird. Aber es ist sehr viel ehrenamtliches Engagement dabei.

Gaby: Wir selbst sind in den Zeiten da, in denen der Ehrenamtler normal arbeitet und abends kommen dann die ehrenamtlichen Gruppensprecher. Bei uns guckt keiner auf die Uhr, von früh bis abends und ohne die Ehrenamtlichen könnten wir das alles gar nicht leisten. Ein großes Danke mal an alle!

 

Für das Gespräch bedankt sich Anja Wilhelm