Interview mit Autorin Eva Biringer über den steigenden Alkoholkonsum von Frauen
Arbeiten u n d trinken wie die Männer?
Ur-Omi nippte damals am Eierlikör, und das vielleicht einmal im Monat mit einer Bekannten. Derweil kippte Ur-Opa in der Kneipe gegenüber Bier und Schnaps – und das nicht nur einmal im Monat. Doch seit 25 Jahren, besagt eine weltweite Studie, hat sich das Trinkverhalten angeglichen. Männer trinken etwas weniger, Frauen inzwischen viel mehr Alkohol. In Deutschland ist inzwischen fast die Hälfte aller Alkoholkranken eine Frau, besagen aktuelle Statistiken. „Je emanzipierter ein Land ist, desto eher trinken die dort lebenden Frauen“, stellt Eva Biringer in ihrem Buch „Unabhängig“ fest, das wir in der vergangenen Ausgabe vorstellten. Die heute trockene Autorin gehört mit ihren 32 Jahren und ihrer Karriere als Food-Journalistin selbst der Generation Frauen an, die es normal findet, zu arbeiten u n d zu trinken wie die Männer.
Was hat das mit Emanzipation zu tun, wenn Frauen heute viel mehr trinken?
Eva Biringer: Einerseits hat Alkohol die Wirkung, die er hat: Er nimmt scheinbar die Sorgen, man fühlt sich leicht beschwingt und das ist natürlich ideal, wenn man den ganzen Tag nicht weiß, wo einem der Kopf steht als Frau, vielleicht auch noch als Mutter, aber auch als Frau, die einen Job hat, der sie fordert. Dann ist da das Glas Wein am Abend der erste Moment, in dem man sich mal was Gutes tut – mal durchatmen, mal Zeit für sich. Andererseits wird Alkohol für Frauen heute auch als Emanzipation verkauft. Sie können heute alles machen, denselben Job wie Männer, können sich selbst verwirklichen, ihr eigenes Lebensmodell wählen: Warum sollen sie dann nicht auch trinken wie die Männer? Dieses „Sex in the City“-Beispiel, das sind Frauen mit tollen Jobs, die sich ihre 15-Dollar-Martinis gönnen und in der Öffentlichkeit trinken. Natürlich nicht zu viel, das ist das Perfide daran, dass das weibliche Trinken sehr wohl reglementiert wird, nämlich dass eine besoffene Frau total abstoßend ist, noch viel abstoßender als ein Mann. Das heißt, man bewegt sich auf einem sehr schmalen Grat zwischen nicht trinken, was komisch ist, denn dann hat man ja ein Problem, und viel trinken, was auch nicht geht – aber eine Frau, die nicht sichtbar betrunken, aber maßvoll in der Öffentlichkeit trinkt, die hat schon was Glamouröses, wenn es nicht der Wodka direkt aus der Flasche ist. Ein Cocktail, ein besserer Wein oder Prosecco, das ist so: Okay, die gönnt sich was.
Trinken Frauen anders und aus anderen Gründen als Männer?
Ich habe eher getrunken, um was zu erleben, zu fühlen, weil ich gerne starke Empfindungen mag, aber ich bin damit eher ein Gegenbeispiel: Viele Frauen trinken, um Gefühle nicht fühlen zu müssen, um sich zu betäuben. Sie trinken auch gegen Ängste und Depressionen an, anders als Männer, die oft nach außen gehen, auch im wortwörtlichen Sinn, nämlich eher in der Öffentlichkeit trinken als Frauen, die, wenn sie problematisch trinken, eher Zuhause trinken … weil es etwas Schambehaftetes hat, das weibliche Trinken – und weil sie da auch einfach sicherer sind, denn eine betrunkene Frau kann eher Opfer einer Gewalttat werden als eine, die nicht betrunken ist. Mit dem Trinken neigen Männer dann eher zu aggressivem, gewaltbereitem Verhalten, bei Frauen dagegen verstärken sich Angstzustände und Depressionen meist.
Werden Frauen schneller abhängig?
Ja, der weibliche Körper kann Alkohol schlechter abbauen, verstoffwechseln. Frauen werden aber nicht nur schneller abhängig, auch die körperlichen und die psychischen Schäden wie Depressionen und Angstzustände durch Alkohol sind sehr viel ausgeprägter als bei Männern, bis hin zu einem mehr als doppelt so hohen Sterblichkeitsrisiko. Deswegen gibt es auch die Empfehlungen, dass Frauen viel weniger trinken sollten als Männer, maximal die Hälfte.
Müsste es dann für Frauen nicht eine spezielle Frauentherapie geben?
Ja, ich bin sehr dafür, dass es eine geschlechterspezifische Suchttherapie gibt, oder mehr, als es gerade der Fall ist: Weil Frauen viel mehr aufgebaut werden müssen. Deswegen lehne ich auch das AA-Konzept ab, bei dem man sich erst mal klein machen muss und sich entschuldigen bei allen, denen man Unrecht angetan hat. Denn das machen Frauen doch sowieso die ganze Zeit. Ich glaube, Frauen müssen bestärkt werden. Das funktioniert, denke ich, am besten in einer Frauengruppe, nicht in einer gemischten Gruppe, ich habe es selbst erlebt. In einer gemischten Gruppe reißen die Männer dann doch wieder das Wort an sich – aber in einer Frauengruppe fühlt man sich doch eher wie in einem geschützten Raum und kann besser auf die geschlechtsspezifischen Probleme eingehen.
Mir ging es selbst so, in der Therapie gab es gemischte Gruppen und ich konnte mich da nur schwer öffnen …
Ja, diese Erfahrung haben viele Frauen gemacht. Ich sage jetzt nicht, dass es keine erfolgreichen gemischten Therapien gibt, aber ich hatte den direkten Vergleich, meine Aufnahmegruppe in der ambulanten Therapie war gemischt, später war es eine Frauengruppe. Das war eine ganz andere Stimmung. Ich glaube, Frauen trauen sich dann mehr, offenbaren sich eher vor anderen Frauen und man kann auch von Seiten der Therapeuten anders herangehen, also eine speziell auf Frauen zugeschnittene Therapie anbieten.
Auch die Werbung trägt ja dazu bei, dass Frauen mehr trinken, sie spricht sie zielgerichtet an, Frauen als Absatzmarkt. Woran kann frau das erkennen?
Durch die Art der Getränke, denn wie alles in der Welt ist ja auch das Trinken gegendert. Also wird der Mann eher durch die Werbung mit einem Whisky oder Cognac angesprochen und die Frau eher mit einem Rosé, mit Sekt, mit Getränken, die weniger Alkohol enthalten, süßlich schmecken und auch niedlich daherkommen, so wie sie aufgemacht werden. Dann ist es natürlich die Mädels-Prosecco-Runde, die dargestellt wird in der Werbung, bei den Männern eher der Biergartenbesuch. Das Perfide ist aber auch die versteckte Werbung. So viele Serien, Filme, Bücher sind bildprägend. Oder Instagram, die sozialen Medien, es ist ja überall das Bild der elegant trinkenden Frau, die sich auf jeden Fall unter Kontrolle hat und nicht betrunken vom Barhocker kippt, aber die trinkt. Und die das als selbstverständlichen Teil ihrer Weiblichkeit betrachtet. Das finde ich fast noch gefährlicher, weil man es gar nicht als Werbung erkennt und es sich sofort abspeichert: ah ok, ne Frau, die im Leben steht, etwas aus sich macht, die trinkt – na dann trink ich doch auch.
Warum hast Du eigentlich Dein Buch geschrieben?
Weil ich in der Zeit, bevor ich aufgehört habe, super viel gelesen hatte, alles, was ich gefunden habe zum Thema Alkoholismus. Jedes dieser Bücher hat mir etwas gegeben, manches mehr, manches weniger, aber die Geschichten von anderen fand ich sehr, sehr hilfreich auf meinem eigenen Weg, gerade die Geschichten von Frauen. Mir war immer klar, wenn ich es mal schaffe, aufzuhören, dann wird es für mich so krass sein, so lebensumwandelnd, dass ich das irgendwann aufschreiben muss. Auch für andere.
Du bezeichnest Dich heute nicht mehr als Alkoholikerin, warum?
Nicht „nicht mehr“, ich habe mich auch früher nicht als Trinkerin bezeichnet, weil ich den Begriff nicht mag. Ich weiß, es ist ein heikles Thema, aber ich habe das für mich so entschieden. Ich habe auch mal geraucht, dann aufgehört und bin seitdem keine Raucherin mehr. Ich hatte ein Problem mit Alkohol, auch eine Abhängigkeit, aber Alkoholikerin … das definiert dich ein Leben lang als Person, und so sehe ich mich nicht. Dieses klassische „Ich bin Eva, ich bin Alkoholikerin“, das passt für mich einfach nicht. Weil es sofort ein Bild aufruft, das wieder Teil des Problems ist, weil viele dann sagen, „Na, ich bin aber nicht die Frau, die morgens schon ihren Wodka reinkippt, die ist Alkoholikerin, ja. Ich trinke ja einfach nur ein bisschen zu viel.“ Da muss man aufpassen, dass es nicht andersrum funktioniert, als Rechtfertigung zum Trinken. Ich mag den Begriff nicht und jetzt erst recht nicht mehr. Ich trinke keinen Alkohol mehr, da bin ich doch erst recht keine Alkoholikerin mehr.