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TrokkenPresse 2/24: Weil der Wirt alkoholkrank wurde …

Als Gastwirt alkoholkrank geworden – Entgiftung – jetzt ist sogar das ganze Lokal alkoholfrei:

Was willst du – aufhören oder auf den Friedhof?

Die vergangene Neujahrsnacht im Gasthof „Zur Sägemühle“: Die letzten Silvester-Gäste sind fort. Inhaberin Kerstin findet ihren Mann Vladimir, Geschäftsführer und Koch, in der Küche weinend auf dem Boden sitzend. Er kann nicht mehr. Er will so nicht mehr. „Ich habe Angst, morgen nicht mehr zu leben, wenn ich es nicht schaffe, sofort aufzuhören mit dem Trinken“, sagt er schluchzend zu seiner Frau … Seit damals nun ist nicht nur er selber trocken, sondern auch gleich der gesamte Gasthof: Alkoholfrei alle Speisen und Getränke. Und das in Bayern, wo doch in einem Lokal zünftiges „echtes“ Bier erwartet wird? Die TrokkenPresse wollte alles etwas genauer wissen …

Was und wie viel hast du getrunken?

Vladimir: Immer nur Bier, sieben Jahre lang. Anfangs war es mit zwei, drei am Vormittag noch genug für den ganzen Tag. In den letzten Jahren sind es aber 15-20 am Tag geworden, über den Tag verteilt.

Kerstin: Menschen, die kein Alkoholproblem haben, trinken mal einfach so ein, zwei Bier, um ein bisschen lustig zu werden. Aber er hat nur noch getrunken, weil es der Körper gebraucht hat. Er musste trinken. Das habe ich oft auch selbst gesehen. Wir haben ja Freitag bis Sonntag geöffnet und immer dann, wenn der Stresspegel stieg, wenn das Lokal proppenvoll war, wir viel Arbeit hatten – ging er dann im 20-Minutentakt zum Zapfhahn für einen Schnitt, also 0,3 Liter. Aus der Küche raus, wieder einen Schnitt. Am Ende des Tages hat er gar nicht mehr gewusst, wie viele es waren.

Haben die Gäste das bemerkt?

Kerstin: Dass er betrunken ist, haben die Leute noch nicht gemerkt, aber ich schon.

Hast du versucht, aufzuhören, es zu kontrollieren?

Vladimir: Ja. Mehrere Male. Aber hat nicht geklappt, ich musste ja nicht extra wegfahren, um mir etwas zu kaufen, sondern hatte ja die Quelle hier.

Kerstin: Wir leben auch hier auf unserem Gasthof, und wenn der Bierbrunnen permanent sprudelt, wenn die Fässer an der Schänke angestochen sind, dann ist das sehr schwer, immer daran vorbeizugehen und zu sagen, nein, ich lass mir kein Bier raus. Es ist ja da. Da müsste man schon eine sehr, sehr große Willenskraft haben.

Warum wolltest du überhaupt aufhören?

Valdimir: Mir ging es immer schlechter gesundheitlich. Mir war immer schlecht, ich hatte immer einen Kater.

Kerstin: Er hat trinken müssen, bis er total am Ende war am Abend, er konnte nicht zwischendrin einfach mal stoppen und sagen, das ist ok jetzt.

Am Neujahrsmorgen in der Küche fiel die Entscheidung …

Kerstin: Ja, er schluchzte: „Entweder ich schaffe das, ab morgen trocken zu sein oder die können mich mit dem Krankenwagen gleich auf den Friedhof fahren, ich habe Angst, bis morgen nicht mehr zu leben.“ Da habe ich gefragt: Was willst du, aufhören oder auf den Friedhof? „Ich will aufhören.“ Dann habe ich den Rettungswagen gerufen und er kam in die Entgiftungsklinik.

Warum hast Du nach 11 Tagen Entzug dann keine Langzeittherapie angeschlossen?

Vladimir: Wir können das Lokal nicht einfach drei Monate schließen …

Kerstin: Wir standen vor der Entscheidung: Sperren wir hier zu für die minimal drei Monate – denn alleine kann ich das nicht bewirtschaften, wir haben kein Personal, aber auch noch zwei Ferienwohnungen, es hängt hier also schon bisschen mehr dran als bei einem normalen Arbeitnehmer. Ich müsste hier alles stilllegen, meine Konzession auch, mir einen Job suchen usw… nicht machbar. Und danach, sperren wir dann überhaupt wieder auf? Denn das nächste Problem wäre, wenn er jetzt in die Klinik ginge … dann kommt der Mai. Da starten wir in unserer Wanderregion mit 200 Prozent in die Sommersaison. Da kann ich von drei runterzählen und er trinkt wieder.

Es gab nur die zwei Optionen: Wir sperren zu und vielleicht nie wieder auf und unser Projekt, unser Leben müssen wir komplett neustarten, nur weil er trinkt? Oder wir können weiterarbeiten, für unsere Gäste da sein, unser Miteinander retten, er sich selber retten, sein Leben und wir legen ALLES trocken. Und so haben wir es nun gemacht.

Und wie geht es für Vladimir, es bleibt ja eine Gastwirtschaft mit Kochstress?

Vladimir: Gut. Ohne das Trinken ist es weniger Stress. Und wir streiten auch viel weniger.

Kerstin: Meistens war Stress, weil er früh schon seinen Pegel hatte, wenn wir mittags aufmachen. Da hängen schon in der Küche am Brett die ersten Bons für das vorbestellte Essen und er kam schon in Panik, oh mein Gott, 15 Essen, ja da muss ich gleich noch eins trinken. Und je höher der Pegel wurde, desto stressiger war es für ihn, weil er ja mit seiner Arbeit gar nicht mehr zurechtkam. Jetzt läuft alles viel entspannter. Das merken auch die Stammgäste.

Aber selbst alkoholfreies Bier könnte ja triggern?

Vladimir: Ich trinke es ja nicht.

Manchem Trockenen genügt schon, es zu sehen, zu riechen …

Kerstin: Das Triggern ist für jeden individuell. Ein Beispiel: Neulich war eine Wandergruppe da aus einer Entwöhnungsklinik, unterschiedlichste Menschen, von jung bis alt. Ich hatte noch Apfelweintorte vom Wochenende da. Auf der Vitrine stand „Apfelweintorte“, weil es hier der Begriff dafür ist und normalerweise mit Wein gekocht wird. Ich hatte aber nur Apfelsaft drin. Zwei dieser Patienten haben sie gegessen. Der ein sagte, irgendwie schmeckt die nach Alkohol. Der andere sagte, er schmecke das nicht. Das könnte also auch schon ein Trigger sein, nur allein der Begriff, das Wort, die Vorstellung, dass da Wein drin sein könnte, weil es dran steht. Für manchen kann es auch schon sein, wenn einfach eine Flasche aufgemacht wird, ein Verschluss ploppt. Ich befasse mich schon lange mit dem Thema Alkoholismus wegen Vladi und habe mit vielen Leuten gesprochen, daher weiß ich auch, dass allein schon das Bewusstsein, dass hier alkfreies Bier ausgegeben wird, triggern könnte.

Vladimir, willst du gern trinken, wenn du volle Biergläser siehst?

Vladimir: Nein, gar nicht.

Kerstin: Vielleicht ist es auch das Bewusstsein, dass da unser Geschäft dranhängt …

Euer ganzes Leben, die Partnerschaft.

Kerstin: Ja, alles. Wenn es jetzt nicht gestoppt wäre, dann hätte das auch alles kaputt gemacht. Ich weiß nicht, ob wir diese Saison weiter existiert hätten, denn er war wirklich am Ende. Seine und unsere Entscheidung war die Rettung. Gottseidank.

 Es gibt einige Restaurants, die es alkoholfrei versucht haben, aber gescheitert sind. Bleiben euch auch Gäste weg, weil es kein echtes Bier mit Promille mehr gibt?

Kerstin: In der Gastronomie gibt es die Faustregel, dass 10 Prozent immer was zu meckern haben. Aber ich muss sagen, an den Wochenenden seitdem waren wir immer proppenvoll – und es war genau eine einzige Person hier, die das bemängelt hat. Alle anderen waren sehr positiv überrascht, auch, wie gut alkoholfreies Bier schmecken kann, wir haben inzwischen 23 Sorten da.

Wie war das mit dem Nörgelgast?

Kerstin: Da war ein Pärchen in den 50-igern zu Gast, sie hat sich alkoholfreies Weizen bestellt, er wollte ein „richtiges“ Bier. Ich sagte ihm, das sei richtiges Bier, aber eben alkoholfrei. Hmmm. Dann hat er die Speisekarte zugeklappt und auf den Tisch geknallt: Ja dann trinke ich gar nix! Ich daraufhin: Na dann halt net. Was soll ich jetzt machen? Ich habe mich umgedreht und meine Arbeit weitergemacht. Da diskutiere ich nicht, das bringt nichts. Der eine geht, und fünf nette Gäste kommen dafür. Das ist einfach Fakt.

Wer sind die netten Gäste?

Kerstin: Zum Beispiel das junge Pärchen mit Baby neulich. Sie hatten von uns gelesen und sind deswegen extra gekommen. Er will abnehmen und muss auch Medikamente nehmen und beide wollen auch gar keinen Alkohol mehr trinken, sondern Alternativen finden. Sie haben auch gleich die Tauffeier bei uns gebucht. Den Grund fand ich spannend: Auf ihren Familienfeiern war immer jemand dabei, der sich zusammensäuft und peinlich für alle ist. Wir können wirklich behaupten: Aus unserem Lokal geht niemand betrunken raus und fährt mit dem Auto nach Hause …

Vladimir: Manche denken, dass wir hier nur wegen mir alkoholfrei sind, weil ich vielleicht nicht stark genug wäre. Aber das ist nicht so. Es ist nicht nur für mich. Sondern für viele andere Leute. So viele trinken keinen Alkohol, weil sie zum Beispiel Medikamente nehmen oder aus religiösen Gründen, Muslime, Juden. Oder Schwangere, Stillende. Wir wollen hier für sie ein risikofreies Lokal sein, wo es auch nicht nach Alkohol riecht oder am Nachbartisch getrunken wird.

Ihr habt also keine Angst vor ausbleibender Kundschaft?

Kerstin: Nein. Der Alkoholabsatz ist in den letzten Jahren schon zurückgegangen. Wanderer wollten nur ein ganz dünnes Radler, weil sie weiterlaufen wollten oder Leute mit dem Rad oder E-Bike trinken dann auch nichts. Und wir sind hier in der Fränkischen Schweiz die einzigen im Umkreis von 4-5 km, da überlegen sich die Leute, ob sie hier was Alkoholfreies in Kauf nehmen oder weiterlaufen, in der Gefahr, dass das nächste Lokal zu hat. Wir haben jetzt erst recht einen großen Zulauf an Gästen, viele schreiben auch, drücken uns die Daumen oder beglückwünschen uns für das Konzept und zu unserer Ehrlichkeit.

Habt ihr nicht auch Neider oder Kritiker?

Kerstin: Einige haben uns einen PR-Gag vorgeworfen. Jemanden musste ich sogar bei Facebook melden: Ich hätte meinen Mann sieben Jahre abgefüllt, dann in die Entzugsklinik gesperrt, nach 11 Tagen rausgezerrt, nur um PR damit zu machen, es wäre ja kein Wunder, dass er trinkt. Sowas ist einfach unverschämt. Da hatten aber dann schon viele liebe Gäste von uns das Wort ergriffen, ich musste gar nicht mehr viel dazu schreiben. Wir haben soooo viel Rückhalt von unseren Gästen. Das ist so schön, so positiv.

Eure Entscheidung aus der Not heraus war also richtig?

Kerstin: Ja. Es ist eigentlich alles viel besser, unglaublich. Es fängt an beim Tresen, der jetzt immer sauber ist, wir haben nur noch Flaschenware. Wir sind an keine Brauerei mehr gebunden, sondern frei und unabhängig, ich kann kaufen, wo ich will. Jetzt haben sich schon Brauereien und Weingüter angemeldet, die ihre alkoholfreien Alternativen an die Kundschaft bringen wollen. Wo geht das besser als in einem Lokal, das sowieso alkoholfrei ist.

 So ist aus der schweren Krankheit sogar eine große Chance geworden …

Kerstin: Mir wäre das Leben ohne Vladis Alkoholismus lieber gewesen. Aber es ist eine positive Geschichte daraus geworden. Das wissen die Leute auch schon von uns: Dass wir, egal, wie die Situation gerade ist, immer das Bestmöglichste rausholen, um weiter zu existieren, weil unser Leben am Geschäft hängt …

Für das Gespräch bedankt sich: Anja Wilhelm

 Kontakt:

Gasthof zur Sägemühle, Großenohe 19, 91355Hiltpoltstein

Tel: 0179 6780416, 09192 2370756

Mail: tischreservierung@gasthof-zur-saegemuehle.de