TrokkenPresse 4-24: Sober-Urlaub für trockene Alkoholiker

The Offline-Hotel:

Sober-Urlaub für trockene Alkoholiker

Der tägliche Wein, am Ende bis zu drei Flaschen, gehörte 27 Jahre lang zu ihrem Leben, bis es längst keins mehr war. Seit drei Jahren nun ist sie trocken. Titilayo Bornmann, einst Hamburgerin, ist nun, seit ihrem Neuanfang, in einem kleinen Dorf in Portugal zuhause – und verwirklicht dort ihre Idee: Menschen, ob suchtkrank oder nicht, finden hier ihre garantiert alkoholfreie Erholung.

Was ist The Offline Hotel genau?
Kein Hotel, sondern eine Agentur, ich arbeite mit kleinen Häusern und Hotels in Portugal zusammen.

Was bietest du an?
Wenn du sagst: Titilayo, ich möchte mit zehn, zwölf Gästen kommen und wünsche mir dies und das und mein Budget ist …, bin ich deine Partnerin an deiner Seite, dann stricke ich was Schönes daraus. Manche möchten gerne wandern, wir machen auch Standup-Paddling oder Fahrradtouren, Yoga und Massagen. Ich habe kein starres Konzept, sondern baue es je nach Bedürfnissen. Wenn du gar keine Lust auf Yoga hast, dann machst du keins, dann gehen wir wandern oder picknicken am Wasserfall, du musst aber auch gar nix, kannst nur daliegen und einfach ein Buch lesen. Parallel dazu biete ich Sober Retreats an. Für Menschen, die in einem geschützten Rahmen ohne Alkohol Urlaub machen möchten, denn das ist ja nach wie vor schwierig.

Wie sorgst du denn dafür, dass alles alkoholfrei bleibt?
Ich werde immer Häuser buchen, bei denen ich dafür sorgen kann, dass jede einzelne Flasche Alkohol aus dem Hotel verschwindet, es darf nichts vor Ort sein. Das ist mein Versprechen an meine Gäste.

Wie bist du auf diese Idee gekommen?
Ich war damals auf meinem Peak mit der Trinkerei, meinem Konsum. Hatte meinen Job verloren, mir ging es psychisch und physisch so schlecht wie noch nie in meinem Leben und ich wusste, hopp oder top, leben oder sterben, es gibt jetzt nichts mehr dazwischen. Da bekam ich die Möglichkeit, drei Monate auf das Haus einer Freundin meiner Mutter in Portugal aufzupassen. Ich hatte zwar Angst vorm Alleinsein, Angst vor Spinnen, vor Dunkelheit, aber habe mich darauf eingelassen, hatte sehr viel Zeit zum Nachdenken und habe meine gesamte Suchtgeschichte aufgeschrieben. Für mich ist es der Ort, an dem ich Heilung gefunden habe. Und da ist mir auch der Gedanke gekommen: Wo machen denn Menschen wie ich, die nicht mehr trinken wollen, Urlaub? Ich habe recherchiert und nicht wirklich viel gefunden, auf jeden Fall nicht in Deutschland oder Europa.

Bleiben wir erstmal bei deiner Abhängigkeit. Am Ende hast Du drei Flaschen Wein am Tag gebraucht. Ist dir bewusst, warum?
Als alleinerziehende Mutter mit großen Geldsorgen und anstrengendem Job habe ich diese Sorgen, den Druck, die Ängste versucht zu betäuben. Tagsüber habe ich halt funktioniert wie die meisten, das betrifft ja auch viele Muttis. Das geht jetzt nicht gegen die Männer, aber was wir alles leisten müssen gleichzeitig und so selbstverständlich, ist schon krass. Und dann kommt der Moment, da ist das Kind im Bett … dieses Durchatmen. Jetzt gönne ich mir was, aber es hatte ja mit gönnen nichts mehr zu tun, ich war ja schon ganz, ganz lange abhängig.

Das Entspannungsgefühl kam dann wohl eher durch das Lindern der Entzugserscheinungen?
Genau. Auf den Punkt gebracht.

Psychisch und physisch am Ende, was meinst du damit?
Burn out, Panikattacken, Depression – und ich war mehrfach mit Organversagen in der Notaufnahme. Es fing damit an, dass ich Blasenkrämpfe bekam. Ich konnte nicht mehr pinkeln. Akuter Harnverhalt, Blasenversagen. Bevor ich endlich katheterisiert wurde im Krankenhaus, habe ich gedacht, mein Körper platzt. Meine Ärztin wusste nicht, woran das liegt und hat mich sogar auf MS getestet, das war es zum Glück nicht. Ich habe dann geschnallt: Immer, wenn ich ein, zwei Bier trinke, passiert es. Ich bin manchmal wochenlang mit einem Katheter rumgelaufen, das möchtest du dir nicht vorstellen. Als Empfangsleiterin in einer Anwaltskanzlei, im Kostüm und auf Highheels. Ich wollte den Job ja nicht verlieren. Mir tut heute die Titilayo von damals so leid, ich war so hart zu mir selber. Dann habe ich sogar noch gelernt, mich selbst zu katheterisieren, wenn es nötig war. Ich konnte das im Schlaf und auch besoffen.

Hast sich das mit der Blase in der Trockenheit wieder gegeben?
Nicht gleich, aber später dann. Ich habe heute noch manchmal Panik davor und immer was dabei. Und ich habe mir die Blase damals kaputt gemacht. Über sowas muss man auch reden, was die Trinkerei alles in Mitleidenschaft zieht.

Wie konntest du aufhören?
Bevor ich nach Portugal gegangen bin, war ich schon bei der Suchtberatungsstelle Frauenperspektiven. Denen bin ich auf ewig dankbar. Da war ich 13 Jahre vorher schon mal. Von der Suchtberatung aus wurde dann alles in die Wege geleitet, so dass ich sofort in Entzug und Entwöhnung kann, wenn ich wieder zurück bin. Ich habe zwar in Portugal noch getrunken, aber ich wusste, es kommt Hilfe.

Du warst schon mal trocken?
Ich glaube, zwei Jahre lang, meine Erinnerungen sind etwas vernebelt. Weil mein damaliger Freund gesagt hatte, wenn du nicht aufhörst, muss ich leider gehen. Heute weiß ich, ich hatte für ihn und mein Kind aufgehört, aber noch gar nicht verstanden, dass es nur klappt, wenn ich selbst es nicht mehr will. Nach unserer Trennung war ich wieder zack dabei. Heute schäme ich mich dafür, dass ich so wenig Quality-Time für und mit meinem Sohn hatte, die Zeit mit meinem Kind so wenig genutzt habe. Ich war immer froh, wenn er im Bett war, denn dann konnte ich endlich trinken. Ich war froh, wenn er vor seinem Daddelkasten saß – und er ist schwerst spielsüchtig geworden. Ich trage die Verantwortung, dass es so gekommen ist …

Wie gehst du heute mit den Gefühlen, den Ängsten um, vor denen du früher in den Alkohol geflüchtet bist?
Meine Mutter hat immer gesagt, man muss sich diese Ängste angucken … und das tue ich. Und das mag ich auch an der Nüchternheit: Man kann Gefühle klar wahrnehmen und sie annehmen. Es ist befreiend, wenn man sie überwinden kann oder auch mit ihnen zu leben lernt, nur viel besser als vorher. Das ist auch so schön, wenn sich Ängste auflösen. Heute bin ich so stolz, dass ich wieder lässig Auto fahren kann, in den Flieger steige und keine Angst mehr habe. Das ist doch so ein Gewinn, wenn man sich das alles wieder zurückholt.

Half dir dabei auch das neue Leben in Portugal?
Ja, das Landleben. Wir bauen unser eigenes Gemüse an, Gärtnern macht glücklich. Alleine, wenn du einen Samen setzt, plötzlich wächst das erste Blättchen und irgendwann hast du deinen eigenen Kohlrabi auf dem Teller, ich kann es eigentlich immer noch nicht fassen. Man lebt wieder mit den Jahreszeiten, mit der Natur. Ich begreife immer mehr durch die Natur, habe das Gefühl, alles hat seinen Sinn. Das hier ist mein Paradies, meine Therapie …

Offline-Leben eben … das bietest du ja auch an. Warum?
Ich habe irgendwann mal gemerkt, dass mir diese Online-Welt zu laut ist, zu schnell. Und festgestellt, ich bin damit nicht alleine, es geht vielen so. Ich glaube, dass ich mich schon deswegen auch betäubt habe. Das war ein Sich-Abschalten, Sich-Ausschalten. Ich meine, eigentlich haben wir alles da auf dieser wundervollen Erde, womit wir uns einfach mal eine Auszeit davon nehmen können, aber wir kriegen das gar nicht mehr mit, weil wir die ganze Zeit zugeballert sind. Bei Social Media wirst du die  ganze Zeit irgendwie angeschrien, guck hier, guck da, gib deine Meinung ab, mach dies, mach jenes. Man verbringt so viel Zeit in diesem Raum, der gar nix mit dem Leben zu tun hat, dass man das Leben nicht mehr mitkriegt. Hier im Urlaub darf man, muss aber nicht, Handy und Laptop beiseite legen.

Hast du das selbst mal probiert?
Ja, und gemerkt, wie viel der ganze Kram an Platz einnimmt in unserem Leben. Mein Freund und ich haben wieder anders miteinander geredet, man berührt sich wieder anders, mal eine Umarmung und Händchenhalten, ich kann wieder einen ganzen Artikel am Stück lesen … das hat mich echt erschreckt, denn dadurch, dass man sich nur noch so kurze Sachen online anschaut, bammbammbamm, hatte ich Schwierigkeiten entwickelt, etwas Längeres zu lesen, dabei bin ich eine Leseratte gewesen. Ich glaube, wenn wir uns wirklich erholen wollen, dann brauchen wir eine digitale Auszeit frei von Alkohol. Und das betrifft eben auch Leute, die kein Alkoholproblem haben.

Im Oktober bietest du wieder ein Sober-Retreat an, also eine alkohol-, drogen- und digitale „Rückzugs“-Woche. Mit knapp 2000 Euro klingt es aber leider nicht gerade erschwinglich für viele?
Ja, das können sich viele sicher nicht leisten, das hätte ich mir vor ein paar Jahren auch nicht leisten können, ganz ehrlich. Aber ich bin so ein Typ, ich hätte wahrscheinlich versucht, mir das möglich zu machen, indem ich es mir erspart oder an Geburtstagen anteilig gewünscht hätte. Aber wenn das mal erfolgreich läuft, dann wird mindestens eine alleinerziehende Mutter im Jahr von mir so eine Reise umsonst kriegen. Das habe ich mir geschworen, weil ich ja selbst eine alleinerziehende Mama war, denn die brauchen es ganz, ganz doll. Für eure LeserInnen biete ich auch gerne einen Rabatt von 99 Euro an.

Kannst du schon davon leben?
Ich arbeite noch zusätzlich in Vertrieb und Akquise, Firmen buchen mich dafür, davon lebe ich auch noch. Und meine Hoffnung ist, dass ich in Zukunft auch Firmen finde, die ihre Mitarbeiter-Reisen bei mir buchen. Der Arbeitsdruck in Deutschland ist sooo hoch, die Leute sind am Limit. Sie brauchen Erholung. Und ich habe noch keinen Gast dagehabt, der nicht gesagt hätte, er hätte sich maximal erholt bei uns. Diese Agentur war die richtige Entscheidung.

Für das Gespräch bedankt sich: Anja Wilhelm

Weitere Infos: https://theofflinehotel.com/

TrokkenPresse 3-24: Wie Medikamente abhängig machen können

Die stille Sucht:

Medikamente abhängig machen

Etwa 2,9 Millionen Menschen sind in Deutschland abhängig von Medikamenten oder nehmen sie problematisch ein. Und das sind nur Schätzungen, die Dunkelziffer mag sehr viel höher liegen. Es gibt viele Hilfen für sie, dennoch suchen nur wenige eine Suchtberatung auf. Medikamentenabhängigkeit wird auch als „die stille Sucht“ bezeichnet, man sieht sie nicht, sie schleicht sich leise ein …Wir sprachen mit Apothekerin und Dozentin Vivian Wagner aus Berlin. Sie ist aktiv in der Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch und arbeitet im ehrenamtlichen Projekt der Apothekerkammer Berlin „Apotheke macht Schule“ mit.

Ab wann missbraucht man Medikamente, ab wann ist man abhängig? Wie bemerkt man das, auch selbst an sich?

Leider ist der Übergang oft schleichend und schwer zu erkennen. Ein Fehlgebrauch (zu viel/zu oft/zu lange) kann häufig zum Missbrauch übergehen. Je psychoaktiver, also bewusstseinsverändernder die Substanz, desto schneller dann die Abhängigkeit. Gefährdende Kofaktoren sind andere Abhängigkeiten und psychische Erkrankungen wie z.B. Depressionen. Wie Sie es an sich selbst erkennen können, lesen Sie bitte im Kastentext s.u.

Es heißt, 5 Prozent der rezeptpflichtigen Medikamente haben Suchtpotenzial: Welche gehören dazu?

Alle, die zentral wirksame Substanzen enthalten: Die also die Blut-Hirnschranke überwinden, die schützende Grenze zwischen Blut und Gehirn. Die schlimmsten Abhängigkeiten sehen wir bei Schmerzmitteln (wie Opioide), Schlafmitteln- und Beruhigungsmittel (wie z.B. Benzodiazepine oder Antidepressiva). Sie sollen ja auch bis ins Gehirn gelangen und dort „arbeiten“.

Woher kommt ihr Suchtpotenzial?

Sie docken an die Rezeptoren körpereigener Botenstoffe an, die das Belohnungssystem befriedigen, wie Dopamin und GABA. Die Wirkstoffe selbst sind unterschiedlich stark suchterregend, aber wichtig ist auch, wie sie verpackt sind: Wenn man das Mittel auflöst und trinkt oder als Tropfen nimmt, ist das schneller süchtig machend, weil sie im Suchtzentrum im Gehirn schneller anfluten als eine Depot-Tablette. Meist dürften sie auch nur zwei Wochen angewendet und müssen dann ausgeschlichen werden. Die Medikation sollte dann geändert werden auf weniger süchtig machende Mittel. Das ist die Kunst des Arztes.

Weshalb werden Menschen dann doch süchtig, obwohl sie von ihren Ärzten doch den Gebrauch vorgeschrieben bekommen?

30 Prozent der Patienten, so sagen Versorgungsforschungen, nehmen ihre Medikamente tatsächlich nicht genau nach Plan ein, sondern nach eigenem Gusto. Medikamente, die ihnen guttun, zum Beispiel höher dosiert und Medikamente, die nicht so beliebt sind (Blutdruckmittel, Entwässerungsmittel) gar nicht oder niedriger dosiert. Der größte Unsicherheitsfaktor ist der Mensch: Was macht er mit sich? Die Sucht entsteht auch nicht nur durch den Stoff, sondern die Suchtmaschine im Kopf.

Weshalb gibt es überhaupt Medikamente, die abhängig machen, wäre das nicht vermeidbar?

„Keine Wirkung ohne Nebenwirkung“ ist ein altes Gesetz. Bei vielen Arzneistoffen kann man erst nach jahrelanger Praxiserfahrung sagen, wie gefährlich sie sind. Heroin zum Beispiel war vor dem ersten Weltkrieg ein Medikament für alles Mögliche … Die klinischen Studien zur Zulassung reichen da nicht aus. Andererseits brauchen wir die zentral wirksamen Substanzen mit dem Gehirn als Angriffsort, weil wir für die Schmerzlinderung, die Narkose und psychiatrische Erkrankungen die Neurotransmitter im Gehirn beeinflussen müssen. Insofern arbeitet die Pharmaindustrie verstärkt daran, Arzneistoffe herzustellen, die noch selektiver wirken oder baut Arzneistoffe mit ein, die die Nebenwirkungen gleichzeitig bekämpfen sollen, wie Naloxon bei Opiaten. Das geht aber nur bedingt.

Es heißt, 10 Prozent der freiverkäuflichen Medikamente haben ebenfalls Suchtpotenzial! Welche zum Beispiel und wie hoch ist die Gefahr, davon abhängig zu werden?

Schlafmittel mit Diphenhydramin, Doxylamin, Erkältungsmittel mit ephedrinhaltigen Substanzen, Nasensprays, Hustensäfte mit Dextromethorphan. Meistens sind es zentral wirksame Substanzen. Aber auch Schmerzmittel wie Ibuprofen, Paracetamol und Aspirin können abhängig machen, wenn sie zu oft, zu hoch dosiert und zu lange genommen werden.

Einfache Kopfschmerztabletten?

Die Substanzen selbst nicht, aber es ist dieses Belohnungssystem im Gehirn – wenn ich registriere, der Schmerz geht weg, das Hämmern, wenn ich eine Tablette nehme … Aber wenn man die Tabletten öfter als zehn Tage im Monat einnimmt, kann ein sogenannter medikamenteninduzierter Kopfschmerz entstehen und dann ist man in der Endlosschleife, dann muss man unbedingt zum Arzt. Diese Mittel kann man aber von einem Tag auf den anderen absetzen, weil es keine psychische Abhängigkeit gibt.

Warum betrifft die Medikamenten-Abhängigkeit mehr Frauen (70%) als Männer?

Das hat etwas mit Rollenverständnis, Erziehung, Sozialverhalten zu tun. Frauen leiden still, wollen nicht auffällig werden und die Mehrfachbelastung von Familie und Beruf irgendwie aushalten. Sie warten oft zu lange, bevor sie etwas verändern, denn sie sind oft finanziell abhängig in Partner- und Beschäftigungsverhältnissen.

Alkoholentgiftung und Benzodiazepine als Begleitmedikament, ist das nicht ein Widerspruch? Nicht wenige Patienten sind dann benzo-abhängig …

Warum macht man das im Entzug? Weil die Gefahr von epileptischen Anfällen sehr hoch ist, je nachdem, wie lange man abhängig war. Man kann auch Antiepileptika einsetzen, aber einige wie Gabapentin können auch süchtig machen. Ein großes Problem, weil man das Gehirn versucht zu entkoppeln mit Substanzen, die genau da auch ankoppeln und indirekt dieses System weiter am Laufen halten, das ist eine große Gefahr. Es muss langsam wieder runtergefahren werden. Das wird vielleicht in der Klinik gemacht, aber im Alltag oft nicht richtig begleitet. Ich kenne so viele Fälle!

Bemerken Sie als Apothekerin, wenn Patienten abhängig sind?

Ja, oft. Schon am Verhalten, das ist so eine bestimmte Ausstrahlung. Sie sind nervös, wenn man länger aufs Rezept guckt, ängstlich, unruhig und wollen schnell wieder weg. Ein Beispiel: Es wird meist Freitagnachmittag angerufen, ob wir das Medikament, oft Benzos, vorrätig haben, auf einen Namen reserviert und dann kommen sie kurz vor Ende der Öffnungszeit mit Privatrezepten oder gefakten Rezepten. Freitagabend ist kein Arzt mehr in der Praxis, so dass ich nicht mehr recherchieren kann, ob er das Rezept ausgestellt hat oder das Rezept geklaut ist oder ob es gefälscht ist …

Weisen Sie Kunden darauf hin, wenn etwas süchtig machen kann?

Ja, täglich, es ist wichtig, aufzuklären, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Ich spreche auch aktiv Patienten an, wenn ich sehe, dass der Arzt das Mittel als Privatrezept ausstellt, z.B. Benzodiazepine und frage sie, warum sie es nehmen, welcher Art Schlafstörungen sie haben und wie lange sie es schon nehmen. Und kläre auch über die Gefahr auf, wenn sie das weiterhin machen.

Nehmen die Patienten das an?

Die meisten nicht. Es gibt aber Patienten, die ich so zur Abstinenz begleiten durfte. Ältere Damen, die jahrelang eine halbe Benzo genommen haben, weil der Arzt sagte, das schadet nicht. Gerade bei Älteren ist das aber hochgradig gefährlich, sie verstoffwechseln es langsamer. Dann gehen sie nachts auf die Toilette, stürzen über ihren eigenen Teppich und landen mit Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus.

Sie sind aktiv in der Berliner Initiative gegen Medikamentenmissbrauch. Was ist das Ziel?

Ein ganz wichtiges zum Beispiel: Gesundheitskompetenz muss ein Schulfach werden.

So wie Bio oder Mathe? Warum?

Eine Studie in Nordrhein-Westfalen hat ergeben, dass 40 Prozent der Deutschen nicht über ihren Körper und seine Funktionen Bescheid wissen und auch nicht über Medikamente, die sie nehmen. Wenn ich mir überlege, dass die meisten, die zu uns reinkommen, den festen Wunsch nach einem Mittel haben, von dem sie über Bekannte gehört haben, bei Tiktok, Instagram oder Google und gar nicht wissen, was sie da kaufen und kein Wissen über ihre Erkrankung haben, finde ich das fatal. Gesundheitskompetenz sollte ein Pflichtfach sein, mindestens genauso wichtig wie Bio oder Chemie. Es fallen ja auch immer mehr freiverkäufliche Medikamente in die Selbstmedikation. Gesundheitsminister Lauterbach hat das schon erkannt, im Bildungsministerium wird bereits darüber gesprochen, viele Fachkreise und Ärzte sind sich des Problems voll bewusst. Früher kannte man ja auch seine Hausmittelchen von Kamillentee bis Quarkwickel und Zwiebelsaft, das wurde von Generation zu Generation übergeben, da hat man die Verantwortung nicht bei der Pharmaindustrie abgegeben.

Worauf muss ich als Patient nun insgesamt selber achten?

Die wichtigsten Grundsätze der WHO für Medikamente mit besonderem Suchtpotenzial wie Opioide sind: By the ladder – nur durch ärztliche Verschreibung, by the mouth – schlucken ist besser als spritzen, by the clock – das feste Einnahmeschema einhalten, und for the individual – immer alles noch individuell abwägen. Das sollte jedem Arzt und Apotheker heilig sein. Patienten können Beratung aktiv einfordern, dazu sind Apotheker und Ärzte sogar verpflichtet, das ist ihr Job. Bereits Abhängige sollten sich unbedingt Hilfe suchen, zum Beispiel in einer Suchtberatungsstelle oder in einer Selbsthilfegruppe.

 

Für das Gespräch bedankt sich: Anja Wilhelm

Warnzeichen: Sind Sie doch schon abhängig? (Quelle: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen,
www.medikamente-und-sucht.de)

Menschen, die auf Dauer Medikamente mit einem Abhängigkeitspotenzial einnehmen, sollten auf folgende Beschwerden achten: Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, ein gedämpftes Gefühlsleben, körperliche Abgeschlagenheit, Energielosigkeit sowie Schlafprobleme – das können Symptome einer beginnenden Abhängigkeit sein. Haben die Medikamente anfänglich wunderbar gewirkt, lässt die Wirkung nämlich nach Wochen und Monaten ganz allmählich nach, die anfänglichen Beschwerden tauchen oft verstärkt wieder auf.

Weitere Hinweise können sein:
– Indikationserweiterung: Wenn Sie zum Beispiel beginnen, Ihr Schlafmittel auch tagsüber gegen Unruhe zu nehmen.
– Fixierung auf die Medikamente: Wenn Sie ohne Ihre Tabletten nicht mehr aus dem Haus gehen, sich eine Reduktion oder ein Absetzen der Tabletten gar nicht mehr vorstellen können.
– Dosissteigerung: Wenn Sie mehr Tabletten einnehmen, als Sie sich vorgenommen haben.
– Heimlichkeit: Wenn Sie verschweigen, dass Sie sich zusätzliche Quellen suchen und sich Benzodiazepine zum Beispiel von weiteren Ärztinnen und Ärzten verschreiben lassen.

 

TrokkenPresse 2/24: Weil der Wirt alkoholkrank wurde …

Als Gastwirt alkoholkrank geworden – Entgiftung – jetzt ist sogar das ganze Lokal alkoholfrei:

Was willst du – aufhören oder auf den Friedhof?

Die vergangene Neujahrsnacht im Gasthof „Zur Sägemühle“: Die letzten Silvester-Gäste sind fort. Inhaberin Kerstin findet ihren Mann Vladimir, Geschäftsführer und Koch, in der Küche weinend auf dem Boden sitzend. Er kann nicht mehr. Er will so nicht mehr. „Ich habe Angst, morgen nicht mehr zu leben, wenn ich es nicht schaffe, sofort aufzuhören mit dem Trinken“, sagt er schluchzend zu seiner Frau … Seit damals nun ist nicht nur er selber trocken, sondern auch gleich der gesamte Gasthof: Alkoholfrei alle Speisen und Getränke. Und das in Bayern, wo doch in einem Lokal zünftiges „echtes“ Bier erwartet wird? Die TrokkenPresse wollte alles etwas genauer wissen …

Was und wie viel hast du getrunken?

Vladimir: Immer nur Bier, sieben Jahre lang. Anfangs war es mit zwei, drei am Vormittag noch genug für den ganzen Tag. In den letzten Jahren sind es aber 15-20 am Tag geworden, über den Tag verteilt.

Kerstin: Menschen, die kein Alkoholproblem haben, trinken mal einfach so ein, zwei Bier, um ein bisschen lustig zu werden. Aber er hat nur noch getrunken, weil es der Körper gebraucht hat. Er musste trinken. Das habe ich oft auch selbst gesehen. Wir haben ja Freitag bis Sonntag geöffnet und immer dann, wenn der Stresspegel stieg, wenn das Lokal proppenvoll war, wir viel Arbeit hatten – ging er dann im 20-Minutentakt zum Zapfhahn für einen Schnitt, also 0,3 Liter. Aus der Küche raus, wieder einen Schnitt. Am Ende des Tages hat er gar nicht mehr gewusst, wie viele es waren.

Haben die Gäste das bemerkt?

Kerstin: Dass er betrunken ist, haben die Leute noch nicht gemerkt, aber ich schon.

Hast du versucht, aufzuhören, es zu kontrollieren?

Vladimir: Ja. Mehrere Male. Aber hat nicht geklappt, ich musste ja nicht extra wegfahren, um mir etwas zu kaufen, sondern hatte ja die Quelle hier.

Kerstin: Wir leben auch hier auf unserem Gasthof, und wenn der Bierbrunnen permanent sprudelt, wenn die Fässer an der Schänke angestochen sind, dann ist das sehr schwer, immer daran vorbeizugehen und zu sagen, nein, ich lass mir kein Bier raus. Es ist ja da. Da müsste man schon eine sehr, sehr große Willenskraft haben.

Warum wolltest du überhaupt aufhören?

Valdimir: Mir ging es immer schlechter gesundheitlich. Mir war immer schlecht, ich hatte immer einen Kater.

Kerstin: Er hat trinken müssen, bis er total am Ende war am Abend, er konnte nicht zwischendrin einfach mal stoppen und sagen, das ist ok jetzt.

Am Neujahrsmorgen in der Küche fiel die Entscheidung …

Kerstin: Ja, er schluchzte: „Entweder ich schaffe das, ab morgen trocken zu sein oder die können mich mit dem Krankenwagen gleich auf den Friedhof fahren, ich habe Angst, bis morgen nicht mehr zu leben.“ Da habe ich gefragt: Was willst du, aufhören oder auf den Friedhof? „Ich will aufhören.“ Dann habe ich den Rettungswagen gerufen und er kam in die Entgiftungsklinik.

Warum hast Du nach 11 Tagen Entzug dann keine Langzeittherapie angeschlossen?

Vladimir: Wir können das Lokal nicht einfach drei Monate schließen …

Kerstin: Wir standen vor der Entscheidung: Sperren wir hier zu für die minimal drei Monate – denn alleine kann ich das nicht bewirtschaften, wir haben kein Personal, aber auch noch zwei Ferienwohnungen, es hängt hier also schon bisschen mehr dran als bei einem normalen Arbeitnehmer. Ich müsste hier alles stilllegen, meine Konzession auch, mir einen Job suchen usw… nicht machbar. Und danach, sperren wir dann überhaupt wieder auf? Denn das nächste Problem wäre, wenn er jetzt in die Klinik ginge … dann kommt der Mai. Da starten wir in unserer Wanderregion mit 200 Prozent in die Sommersaison. Da kann ich von drei runterzählen und er trinkt wieder.

Es gab nur die zwei Optionen: Wir sperren zu und vielleicht nie wieder auf und unser Projekt, unser Leben müssen wir komplett neustarten, nur weil er trinkt? Oder wir können weiterarbeiten, für unsere Gäste da sein, unser Miteinander retten, er sich selber retten, sein Leben und wir legen ALLES trocken. Und so haben wir es nun gemacht.

Und wie geht es für Vladimir, es bleibt ja eine Gastwirtschaft mit Kochstress?

Vladimir: Gut. Ohne das Trinken ist es weniger Stress. Und wir streiten auch viel weniger.

Kerstin: Meistens war Stress, weil er früh schon seinen Pegel hatte, wenn wir mittags aufmachen. Da hängen schon in der Küche am Brett die ersten Bons für das vorbestellte Essen und er kam schon in Panik, oh mein Gott, 15 Essen, ja da muss ich gleich noch eins trinken. Und je höher der Pegel wurde, desto stressiger war es für ihn, weil er ja mit seiner Arbeit gar nicht mehr zurechtkam. Jetzt läuft alles viel entspannter. Das merken auch die Stammgäste.

Aber selbst alkoholfreies Bier könnte ja triggern?

Vladimir: Ich trinke es ja nicht.

Manchem Trockenen genügt schon, es zu sehen, zu riechen …

Kerstin: Das Triggern ist für jeden individuell. Ein Beispiel: Neulich war eine Wandergruppe da aus einer Entwöhnungsklinik, unterschiedlichste Menschen, von jung bis alt. Ich hatte noch Apfelweintorte vom Wochenende da. Auf der Vitrine stand „Apfelweintorte“, weil es hier der Begriff dafür ist und normalerweise mit Wein gekocht wird. Ich hatte aber nur Apfelsaft drin. Zwei dieser Patienten haben sie gegessen. Der ein sagte, irgendwie schmeckt die nach Alkohol. Der andere sagte, er schmecke das nicht. Das könnte also auch schon ein Trigger sein, nur allein der Begriff, das Wort, die Vorstellung, dass da Wein drin sein könnte, weil es dran steht. Für manchen kann es auch schon sein, wenn einfach eine Flasche aufgemacht wird, ein Verschluss ploppt. Ich befasse mich schon lange mit dem Thema Alkoholismus wegen Vladi und habe mit vielen Leuten gesprochen, daher weiß ich auch, dass allein schon das Bewusstsein, dass hier alkfreies Bier ausgegeben wird, triggern könnte.

Vladimir, willst du gern trinken, wenn du volle Biergläser siehst?

Vladimir: Nein, gar nicht.

Kerstin: Vielleicht ist es auch das Bewusstsein, dass da unser Geschäft dranhängt …

Euer ganzes Leben, die Partnerschaft.

Kerstin: Ja, alles. Wenn es jetzt nicht gestoppt wäre, dann hätte das auch alles kaputt gemacht. Ich weiß nicht, ob wir diese Saison weiter existiert hätten, denn er war wirklich am Ende. Seine und unsere Entscheidung war die Rettung. Gottseidank.

 Es gibt einige Restaurants, die es alkoholfrei versucht haben, aber gescheitert sind. Bleiben euch auch Gäste weg, weil es kein echtes Bier mit Promille mehr gibt?

Kerstin: In der Gastronomie gibt es die Faustregel, dass 10 Prozent immer was zu meckern haben. Aber ich muss sagen, an den Wochenenden seitdem waren wir immer proppenvoll – und es war genau eine einzige Person hier, die das bemängelt hat. Alle anderen waren sehr positiv überrascht, auch, wie gut alkoholfreies Bier schmecken kann, wir haben inzwischen 23 Sorten da.

Wie war das mit dem Nörgelgast?

Kerstin: Da war ein Pärchen in den 50-igern zu Gast, sie hat sich alkoholfreies Weizen bestellt, er wollte ein „richtiges“ Bier. Ich sagte ihm, das sei richtiges Bier, aber eben alkoholfrei. Hmmm. Dann hat er die Speisekarte zugeklappt und auf den Tisch geknallt: Ja dann trinke ich gar nix! Ich daraufhin: Na dann halt net. Was soll ich jetzt machen? Ich habe mich umgedreht und meine Arbeit weitergemacht. Da diskutiere ich nicht, das bringt nichts. Der eine geht, und fünf nette Gäste kommen dafür. Das ist einfach Fakt.

Wer sind die netten Gäste?

Kerstin: Zum Beispiel das junge Pärchen mit Baby neulich. Sie hatten von uns gelesen und sind deswegen extra gekommen. Er will abnehmen und muss auch Medikamente nehmen und beide wollen auch gar keinen Alkohol mehr trinken, sondern Alternativen finden. Sie haben auch gleich die Tauffeier bei uns gebucht. Den Grund fand ich spannend: Auf ihren Familienfeiern war immer jemand dabei, der sich zusammensäuft und peinlich für alle ist. Wir können wirklich behaupten: Aus unserem Lokal geht niemand betrunken raus und fährt mit dem Auto nach Hause …

Vladimir: Manche denken, dass wir hier nur wegen mir alkoholfrei sind, weil ich vielleicht nicht stark genug wäre. Aber das ist nicht so. Es ist nicht nur für mich. Sondern für viele andere Leute. So viele trinken keinen Alkohol, weil sie zum Beispiel Medikamente nehmen oder aus religiösen Gründen, Muslime, Juden. Oder Schwangere, Stillende. Wir wollen hier für sie ein risikofreies Lokal sein, wo es auch nicht nach Alkohol riecht oder am Nachbartisch getrunken wird.

Ihr habt also keine Angst vor ausbleibender Kundschaft?

Kerstin: Nein. Der Alkoholabsatz ist in den letzten Jahren schon zurückgegangen. Wanderer wollten nur ein ganz dünnes Radler, weil sie weiterlaufen wollten oder Leute mit dem Rad oder E-Bike trinken dann auch nichts. Und wir sind hier in der Fränkischen Schweiz die einzigen im Umkreis von 4-5 km, da überlegen sich die Leute, ob sie hier was Alkoholfreies in Kauf nehmen oder weiterlaufen, in der Gefahr, dass das nächste Lokal zu hat. Wir haben jetzt erst recht einen großen Zulauf an Gästen, viele schreiben auch, drücken uns die Daumen oder beglückwünschen uns für das Konzept und zu unserer Ehrlichkeit.

Habt ihr nicht auch Neider oder Kritiker?

Kerstin: Einige haben uns einen PR-Gag vorgeworfen. Jemanden musste ich sogar bei Facebook melden: Ich hätte meinen Mann sieben Jahre abgefüllt, dann in die Entzugsklinik gesperrt, nach 11 Tagen rausgezerrt, nur um PR damit zu machen, es wäre ja kein Wunder, dass er trinkt. Sowas ist einfach unverschämt. Da hatten aber dann schon viele liebe Gäste von uns das Wort ergriffen, ich musste gar nicht mehr viel dazu schreiben. Wir haben soooo viel Rückhalt von unseren Gästen. Das ist so schön, so positiv.

Eure Entscheidung aus der Not heraus war also richtig?

Kerstin: Ja. Es ist eigentlich alles viel besser, unglaublich. Es fängt an beim Tresen, der jetzt immer sauber ist, wir haben nur noch Flaschenware. Wir sind an keine Brauerei mehr gebunden, sondern frei und unabhängig, ich kann kaufen, wo ich will. Jetzt haben sich schon Brauereien und Weingüter angemeldet, die ihre alkoholfreien Alternativen an die Kundschaft bringen wollen. Wo geht das besser als in einem Lokal, das sowieso alkoholfrei ist.

 So ist aus der schweren Krankheit sogar eine große Chance geworden …

Kerstin: Mir wäre das Leben ohne Vladis Alkoholismus lieber gewesen. Aber es ist eine positive Geschichte daraus geworden. Das wissen die Leute auch schon von uns: Dass wir, egal, wie die Situation gerade ist, immer das Bestmöglichste rausholen, um weiter zu existieren, weil unser Leben am Geschäft hängt …

Für das Gespräch bedankt sich: Anja Wilhelm

 Kontakt:

Gasthof zur Sägemühle, Großenohe 19, 91355Hiltpoltstein

Tel: 0179 6780416, 09192 2370756

Mail: tischreservierung@gasthof-zur-saegemuehle.de

 

TrokkenPresse 01/24: Wie sage ich jemandem, dass er zu viel trinkt?

Wie sage ich jemandem, dass er zu viel trinkt?

Ja, und vor allem: Sollte ich das überhaupt? Muss ich denn Freunden, Kollegen oder PartnerInnen meine sorgenvolle Beobachtung mitteilen – und wenn ja, wie am besten? Die TrokkenPresse im Gespräch mit Psychologin Heike Herzberg, Leiterin der Suchtberatungsstelle des PBAM e.V. in Berlin-Wilmersdorf.

Woran bemerke ich überhaupt, dass jemand im Umfeld missbräuchlich trinkt und vielleicht sogar bereits suchtgefährdet ist?

Zum Beispiel, wenn er oder sie öfter betrunken ist, die Kontrolle über den Konsum verliert. Oder sehr schnell trinkt. Oder zu unüblichen Zeiten, tagsüber. Und man bemerkt es auch daran, dass sich die Person verändert. Wenn ich z.b. beobachte, einer Freundin geht es jetzt nicht mehr darum, mit mir zusammen zu sein, sondern vor allem darum, mit mir zu trinken. Es kann auch sein, dass sich der Mensch zurückzieht, nicht mehr telefonisch zu erreichen ist oder wenn doch, dann immer schon etwas getrunken hat. Oder Verabredungen nicht einhält und danach merkwürdige Erklärungen dazu hat …

Auch das Herunterspielen von Problemen ist ein Kennzeichen: Da hat beispielsweise jemand den Führerschein verloren und bagatellisiert es trotzdem. Oder wenn es unter Alkoholeinfluss zu bösen Streitereien kommt bis hin zu Gewalt, oftmals gerade auch in Partnerschaften. Aber sehr wichtig ist auch das eigene Gefühl, dass da irgendwas nicht stimmt …

Muss oder sollte ich denn das Thema nun ansprechen?  Es fühlt sich sehr heikel an …

Ich muss natürlich nicht die Welt retten. Ich muss gar nichts. Genauso wie der Betroffene, der muss auch nichts. Die Frage ist meine eigene Motivation. Habe ich einen starken Antrieb, mit demjenigen zu sprechen? Das wäre wie ein Geschenk an ihn: Denn es ist mutig, jemanden auf seinen Alkoholkonsum anzusprechen. Man muss ja mit Abwehr rechnen. Ein sehr unangenehmes Unterfangen.

Was könnte denn ein Antrieb sein?

Manchmal ist es die Sorge um den anderen, oftmals aber auch, dass ich mitbetroffen bin. Und zwar durch Ärger, der durch das Trinken entstehen kann oder weil sich vielleicht die Freundin so verändert, dass ich kaum noch in Kontakt mit ihr komme. Es kann auch eine Kollegin sein, die nicht mehr so konzentriert arbeitet und viele Fehler macht und ich muss das immer ausbügeln …

Wann und wie sollte ich denjenigen ansprechen?

Ich würde mich mit einer Freundin zum Beispiel mal vormittags zum Kaffee verabreden und auch ankündigen, dass ich gerne etwas mit ihr besprechen würde. Im Gespräch dann ist es immer besser, ihr nicht zu sagen, was sie tun soll oder sie mit Vorwürfen zu überschütten oder ihr gar zu drohen, die Freundschaft zu kündigen, wenn sie sich nicht ändert – so nicht! Wichtig ist, eher liebevoll, wertschätzend und vor allem bei sich selbst zu bleiben, das eigene Erleben mitzuteilen: Ich mache mir Sorgen …, ich habe beobachtet, dass du viel trinkst… ich nehme wahr, dass Alkohol dir wichtiger wird als ich … o.ä.

Du sagtest, es braucht Mut, jemanden auf seinen hohen Alkoholkonsum anzusprechen. Wieso?

Weil man fürchtet, wenn ich das anspreche, gibt es Zoff. Bis hin zur Kündigung der Freundschaft. Es fühlt sich an wie Einmischung in das Leben des anderen, wie ein Tabubruch. Es gibt so eine gesellschaftliche Scheu, jemanden auf seinen Alkoholkonsum anzusprechen, wir haben ja diese Trink-Unkultur, sogar Sauffeste wie das Oktoberfest – und wenn ich jemanden auf sein Trinken anspreche, komme ich in so eine Situation: Ach, das ist so eine, die hat keinen Spaß am Leben. Es ist jedenfalls etwas sehr Persönliches, und deshalb fühlt es sich unangenehm an. Und ich ahne, dass der andere es abwehren wird.

Abwehr – eine normale psychologische Reaktion?

Eine Art Schutzmechanismus. Es ist selten, dass jemand angesprochen wird und meint: Ich bin echt froh, dass das endlich mal jemand gesagt hat! Sondern was kommt als erstes in dem Betreffenden hoch? Das Gefühl, ich bin ertappt. Ich schäme mich. Oftmals spürt ja der Betroffene selbst, dass da irgendwas nicht stimmt und denkt aber, solange die anderen nichts sagen, merken sie ja nichts. Das ist aber ein Riesenirrtum. Mit Abwehr sollte man also immer rechnen.

Was hältst du von einer „Konferenz“, also wenn zum Beispiel Freunde und Familie gemeinsam den Betroffenen zum Gespräch bitten?

Großartig. Ganz toll!

Oh je, alle gegen einen, ich als Betroffene würde mich dann sehr schlecht fühlen, bedroht, ganz klein mit Hut. Meinst Du nicht?

Es kommt natürlich darauf an, wie die Familie oder die Freunde dann mit dir reden. Es ist ja auch eine Form der Wertschätzung: Du, wir kommen jetzt alle zusammen, sind extra angereist, haben uns frei genommen, um mit dir zu reden, denn wir machen uns große Sorgen und wir wünschen uns, dass du was änderst. Ja, das ist natürlich unangenehm … Aber es kann hilfreich sein. Es kann nachwirken. Dass sich dann gleich etwas ändert, ist natürlich nicht gesagt.

Sollte man nun diese verständliche Scheu dennoch überwinden und das Thema ansprechen, auch wenn man es gar nicht müsste, wie Du sagtest?

Was meinst denn du selbst dazu aus Sicht einer Betroffenen, ist es denn immer gut, wenn jemand etwas sagt, wäre das am besten?

Schwierig. Ich habe auch erstmal Abwehr gezeigt: Ja, kann sein, ich trinke manchmal zu viel, aber nicht mehr als andere zu viel … Aber ehrlich: Kaum jemand hat mich auf meine Sauferei hin angesprochen! Es gab mal Andeutungen und Getuschel, das ja. Im Nachhinein, heute, wäre ich dankbar, wenn es ein paar Leute mehr gewesen wären, die vielleicht auch mal ein liebevolles Gespräch mit mir nicht gescheut hätten. Dann hätte ich vielleicht früher erkennen können, was wirklich mit mir los ist. Ich habe ja lange gedacht, es ist normal und alle trinken abends eine Flasche Wein. Oder zwei.

Ich denke, Betroffenen kann es viel eher helfen, wenn man seine Scheu ablegt und nicht so eine Angst vor den Reaktionen hat. Was soll Schlimmes passieren? Eine gekündigte Freundschaft? Wenn das der Preis wäre, ist es gegen eine tödliche Krankheit nur ein kleiner, oder? Ja, heute glaube ich, je mehr Leute was sagen und je häufiger man das hört, desto eher kann ein Betroffener auf den Trichter kommen, ah, da ist wohl wirklich was … Kannst du das jetzt nachvollziehen?

Jetzt so aus deiner Sicht auf jeden Fall! Aber es gibt ja auch Beispiele aus der Partnerschaft, wo die Frau permanent sagt, du trinkst zu viel, hör mal auf … sie ist dann eh schon die Person, bei der der Trinkende mit den Augen rollt. Also man muss dann wirklich die Situation ansehen. Wenn es dann nämlich der Arbeitskollege sagt, oder sich Kollegen zusammentun für ein Gespräch … das ist ein Riesengeschenk, dass andere sich so viele Gedanken machen, auch wenn das vom Betroffenen nicht so erlebt wird erst einmal. Es kommt immer irgendetwas an. Auch, wenn sich erstmal gar nicht viel ändert. Aber es ist wichtig, zu signalisieren, ich sehe da was, da ist was mit dir, ich mache mir Sorgen. Es ist eine Chance. Handeln muss dann letztlich der andere selbst …

Für das Gespräch bedankt sich: Anja Wilhelm

TrokkenPresse 06/23: Komm einfach her!

Die 6-Wochen-Therapie in der Anonyme Alkoholkrankenhilfe Berlin (AKB e.V.)

Komm einfach her!

Für alkoholkranke Menschen in Berlin ist der AKB ein fester Begriff. Ein Synonym für Hilfe in der größten Not. Für ein tägliches Zuhause, ob in der 6-Wochen-Therapie oder auch länger, wenn man will. Viele hunderte Menschen wurden dort in über 48 Jahren des Bestehens für immer trocken, weil sie neu zu leben lernten, in Gemeinschaft mit anderen Gleichgesinnten. Das Besondere und wohl bundesweit Einzigartige: Es ist ein reines Selbsthilfeprojekt. Es gibt weder Ärzte, Therapeuten noch Sozialarbeiter. Weder langwierige Antragstellungen noch monatelanges Warten auf einen Platz. Hier helfen Betroffene Betroffenen. Sofort. An sieben Tagen jeder Woche, von 9 bis 21 Uhr, ist jemand da …

Ein einfaches Einfamilienhaus in einer kleinen, ruhigen Straße, zwischen Botanischem Garten und Dahlem-Dorf. Der Garten grünt noch, durch die Bäume und Sträucher lugen ein Grillhäuschen und ein großer Gartentisch hervor. Auf der Terrasse sitzen und unterhalten sich Leute im Herbstsonnenschein, eine Mugge läuft von irgendwo. Durch die offene Tür Geschirrklappern.

So pirsche ich mich nämlich erstmal außen am Zaun entlang und gucke. Und das haben wohl vor mir schon viele Alkoholkranke so getan, vor diesem ersten großen Schritt dann hinein ins Haus und damit in einen Neustart des Lebens …

Die Gartenpforte ist unverschlossen, die Haustür mit Willkommensgruß ebenso. Man geht einfach hinein. So ist das hier. Ich stehe im Flur und alsbald spricht mich auch jemand sehr freundlich an: „Wie kann ich Dir helfen?“ Ich fühle mich wirklich willkommen. Sogar zum Mittagessen werde ich eingeladen, in den großen Raum mit den Tischen in U-Form. Als würde ich jetzt dazugehören. Heute gibt es Schnitzel. Heiner hat gekocht. Nach dem Essen und einem Dankeklopfen für den Koch räumen einige der Tagesgäste die Teller in die Küche, waschen ab, wischen die Tische wieder rein. Jeder weiß, was zu tun ist. Es erinnert ein bisschen an das Leben in einer Großfamilie. Und Manfred, er hat noch den Wischlappen in der Hand – er ist schon über sechs Wochen täglich hier seit einem Rückfall – sinnt nach und sagt: „Jedes Mal, wenn ich hier durch die Tür komme, ist es wie Magie für mich. Die ganzen schlechten Dinge bleiben irgendwie draußen. Ich werde freundlich begrüßt, von Leuten, die auch verstehen, was ich sage und meine …“

Heiner, seit sieben Jahren trocken, kocht und kauft aber nicht nur für alle Mahlzeiten ein: Er ist der Suchthilfekoordinator des Vereins. Meist der erste Ansprechpartner, ob ein Hilfesuchender anruft oder einfach vor der Tür steht. Er und Gaby vom Vorstand des Vereins, sie ist seit 23 Jahren abstinent, leiten mich für unser Interview die Treppe nach oben, in eins der zwei Zimmer, die den Tagesgästen in ihrer Freizeit zur Verfügung stehen …

Wenn ich jetzt zum Beispiel einen Rückfall hätte, also in Not wäre, weder ein noch aus wüsste …

Gaby: Einfach anrufen oder gleich herkommen!

Heiner: Wir sind von 9 bis 21 Uhr da, auch sonntags, feiertags. Wir warten auf Leute wie dich. Komm rein, setz dich hin, hör zu, sprich mit uns, wir schauen gemeinsam, welche Hilfe du brauchst. Und du kannst hier sofort anfangen mit der 6-Wochen-Therapie …

Sofort anfangen?

Heiner: Wenn du die sechs Wochen lang teilnehmen willst, lässt du dich zuerst von deinem Hausarzt krankschreiben. Du bist ja krank, du bist süchtig, du willst deine Sucht bekämpfen. Dann geht es los, Von morgens 9 Uhr bis 21 Uhr bist du dann täglich hier.

So lange, bis 21 Uhr?

Heiner: Ja, das ist gerade wichtig! Wir möchten dir einen Rahmen schaffen, indem du einen Schutzraum hast. Die meisten Betroffenen sitzen doch nach der Arbeit zuhause und trinken dann wieder.

Gaby: Und du sollst so auch wieder einen geregelten Tagesablauf finden. Schon durch die Mahlzeiten hier bei uns, Frühstück, Mittag, Abendbrot.

 Wie läuft denn so ein Tag ab?

Heiner: Wir decken morgens gemeinsam den Tisch, nach dem Frühstück wird das Haus erstmal ein bisschen saubergemacht, 10 Uhr beginnt die Morgengruppe. Mit einem Vereinsmitglied, der ein Thema mit den Leuten bearbeitet. Zum Beispiel „Alkohol am Arbeitsplatz“, „Rückfallprophylaxe“, „Alkohol und Beziehungen“ usw. Das geht bis 12 Uhr. In der Zeit mache ich Beratungen, Bürokram und Mittagessen. 12.30 Uhr ist Mittag, dann Freizeit. Ob mit Mittagsschlaf, Laub harken, malen, lesen, freiwilliger Gartenarbeit, mit Gesprächen untereinander oder nach einer Eingewöhnungszeit auch Spaziergängen im Botanischen Garten. Oder jemand hat Arzttermine oder anderes zu erledigen. Du lernst hier wieder, wie Leben ohne Alkohol funktioniert, entdeckst dich neu. 17 Uhr gibt’s Abendbrot. Um 19 Uhr die Abendgruppe, eine offene Selbsthilfegruppe, zu der jeder, der ins Haus kommen will, kommen kann.

Wer leitet die Gruppen?

Heiner: Langjährig trockene Vereinsmitglieder, wir haben sieben Gruppensprecher hier im Haus, aber auch noch 20 AKB-Gruppen in verschiedenen Stadtteilen. Die ersten zwei Wochen erwarten wir, dass sich die Therapie-Teilnehmer alle Gruppen hier angucken, und dann können sie auch Außengruppen besuchen.

Warum ist euch das mit den Gruppenbesuchen so wichtig?

Heiner: Mir als Süchtigem soll bewusstwerden, dass eine Selbsthilfegruppe für mich ein MUSS ist, weil ich dort über meine Probleme reden kann, statt sie zu ertränken.

Kann ich in den sechs Wochen auch mal wegbleiben, wenn ich mal keinen Bock habe oder einen Rückfall?

Heiner: Du unterschreibst zu Beginn unsere Teilnahmebedingungen. Darin verpflichtet sich der „Therapist“, sechs Wochen lang von 9-21 Uhr teilzunehmen, an sieben Tagen der Woche. Darin steht auch, dass wir bei einem Rückfall die Therapie beenden müssen. Wir sind zwar immer noch mit den Gruppen und mit Gesprächen für dich da, aber du musst ja erstmal wieder zu dir finden, entgiften. Wenn es dir wichtig ist, abstinent zu leben, dann kommst du wieder. Wenn wir Rückfälle nicht ausschließen würden, müssten wir andauernd mit Rückfällen leben, es wäre für die Leute egal, ob sie rückfällig werden. Ein Rückfall kann passieren, sollte aber nach Möglichkeit nicht stattfinden.

Gaby: Aber wenn du nicht kommen kannst, weil du Migräne oder sonst was hast, rufst du an, dann wissen wir Bescheid, gut wäre ein Nachweis vom Arzt. Man muss also auch nicht mit Schnupfen oder Husten herkommen.

Ist eine Entgiftung Voraussetzung?

Heiner: Das Suchtmittel sollte schon aus dem Körper ausgeschwemmt sein. Es kann sonst hier zu medizinischen Notfällen kommen, die wir nicht beherrschen können, ich bin kein Arzt. Dafür gibt es Entgiftungsstationen.

Gaby: Aber die Plätze sind weniger geworden. Wir wollten hier gerade zwei Leute ins Krankenhaus bringen, aber die kriegen keinen Platz. Sie müssen jeden Tag um 7 Uhr anrufen und wenn du eine Woche lang warten musst, dann ist das gefährlich, der Arzt rät dann meist zum Weitertrinken. Das ist so ein Ding, wenn ich mich schon dazu durchgerungen habe, nicht mehr zu trinken. So werden die Menschen in der Sucht gehalten. Wir versuchen zu helfen, aber uns sind da die Hände gebunden.

Wer genau findet den Weg hierher?

Gaby: Sie kommen aus ganz Berlin. Vom Professor, Arzt, Polizisten, Feuerwehrmann, Lehrer über Pfleger bis zum Straßenfeger. Ein ganz klarer Durchschnitt der Bevölkerung. Und die Leute sind jünger als früher, sogar schon mit Mitte 20 kommen sie her, meist polytox.

Heiner: Alkohol ist bei den Jüngeren eher das Begleitmittel von anderen Drogen heute. Es gibt wenig reine Alkoholiker.

Habt ihr eine Art Therapieziel, außer dem, dass jemand trocken bleibt?

Heiner: Ich möchte, dass es für die Leute selbst hier IHR Ziel wird, trocken zu leben. Und dass sie Hilfe zur Selbsthilfe anzunehmen lernen. Ich kann niemandem garantieren, wenn er nach den sechs Wochen geht, dass er geheilt ist. Aber ich kann jedem garantieren, dass, wenn er weiter in Gruppen geht, das Rückfallrisiko geringer ist. Weil er da die Möglichkeit hat, über das Problem, was ihn gerade triggert, zu sprechen.

Gaby: Ja, auch dass sie ein Zugehörigkeitsgefühl entwickeln …

Heiner: Wir wollen hier zeigen, wie wichtig es ist, im Kontakt mit anderen Betroffenen zu sein. Als Süchtiger habe ich gedacht, ich bin der Einzige, der zu blöd ist, mit der Sauferei aufzuhören. Jeder denkt, er sei alleine. Aber alleine kann man nicht aufhören. Gemeinsam aber stärken wir uns. Das ist Selbsthilfe. Man achtet aufeinander und sogar Freundschaften entstehen …

Gaby: … das ist wichtig, denn die alten Saufkumpane muss man vergessen. Es entwickelt sich hier so eine Art Heimatgefühl.

Heiner: Und wir versuchen, dass du hier begreifst: Selbsthilfe ist mein Anker im Leben. Wenn mal gar nichts mehr greift, ich mit niemandem reden kann, dann ist irgendwo eine Selbsthilfegruppe, wo ich mich zuhause fühlen kann.

Ich habe gehört, früher war der Ton hier sehr rau und deftig …

Gaby lacht: Wann haste denn das gehört, anno dutz? Aber das stimmt. Das war früher so, da hatten wir eine ganz andere Klientel als heute. Als ich hergekommen bin, saßen da so 100 Jahre alte Knastleute, der Ton war so herrschsüchtig, dass ich dachte, hier bleibe ich nicht. Da konnten die Neuen sagen, was sie wollten, die sind denen immer in die Parade gefahren und das verängstigt, man nimmt sich zurück und sagt gar nichts mehr. Aber das ist lange her. Im Laufe der Zeit haben wir daraufhin gearbeitet, dass sich der Ton ändert, dass man normaler miteinander umgeht.

Heiner: Ich denke, das war ein Spiegel der Gesellschaft, früher war der Ton generell rauer. Selbsthilfe ist immer ein Spiegel der Gesellschaft. Heute wird eher versucht, alles zu umschiffen. So, wie die Gesellschaft draußen weicher geworden ist, schlägt sich das auch im AKB nieder. Das geht heut nicht mehr: Ich geb dir eins auf die Fresse, wenn du mir blöd kommst …

Gaby: … in den Außengruppen kann das schon noch mal passieren …

Heiner: Wir finden es jedenfalls wenig hilfreich, angemotzt zu werden, wenn man trocken werden will, da muss man schon mal einen guten Mittelweg finden, denn zu liebevoll sein hilft auch nicht. Wir stellen uns heutzutage mehr auf die Klienten ein, mit mehr Empathie.

In Anonyme Alkoholikerhilfe stecken die Worte Anonyme Alkoholiker, AA, ist das Absicht?

Gaby: Vor 48 Jahren gründete sich der AKB aus einer Splittergruppe der AA, daher der Name.

Heiner: Bei uns geht es heute nicht um Religion, nicht um Politik oder Sport, sondern es geht um unsere Sucht hier. Und viele haben Probleme mit Gruppen, die religiöse Ansätze haben. Deshalb hatten wir uns als AKB zusammengefunden.

Kommen wir mal noch zum Geld: Was muss ich als Therapist bezahlen?

Heiner: 50 Euro Kostgeld pro Woche für die Mahlzeiten. Weiter nichts.

Und wie finanziert ihr dann das Haus, euch selbst usw.?

Heiner: Das Haus haben wir zu günstigen Konditionen als Selbsthilfegruppe angepachtet, es ist Erbpacht. Wir sind zurzeit durch Krankenkassenförderung und Pep-Zuwendungen (Psychiatrieentwicklungsprogramm, d.Red.) vom Bezirk finanziert, z.B. meine 30-Stundenstelle als Berater. Ansonsten ist das alles Eigenleistung, durch den Verein, den Förderverein und Spenden. Auch in den Außengruppen geht ein Hut rum. Gut betuchte Mitglieder kaufen auch mal ein, wenn etwas gebraucht wird. Aber es ist sehr viel ehrenamtliches Engagement dabei.

Gaby: Wir selbst sind in den Zeiten da, in denen der Ehrenamtler normal arbeitet und abends kommen dann die ehrenamtlichen Gruppensprecher. Bei uns guckt keiner auf die Uhr, von früh bis abends und ohne die Ehrenamtlichen könnten wir das alles gar nicht leisten. Ein großes Danke mal an alle!

 

Für das Gespräch bedankt sich Anja Wilhelm

TrokkenPresse 05/23: Angst und Sucht

Angst und Sucht

Trinke ich zu viel, weil ich unter Ängsten leide? Oder entwickle ich Ängste, eben weil ich zu viel trinke? Dass ein Zusammenhang zwischen beidem besteht, daran gibt es kaum Zweifel: Wie statistische Erhebungen belegen, leben etwa 14 Prozent der deutschen Erwachsenen mit einer Angststörung, ob mit Panikattacken, Furcht vor Menschen, engen Räumen oder in ständig überhöhter Sorge. Und bei zehn Prozent dieser Menschen wird auch eine Alkoholabhängigkeit festgestellt. Die TrokkenPresse wollte mehr über den Zusammenhang wissen und sprach mit Dr. med. Andreas Dieckmann, Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie/Psychoanalyse/Sozialmedizin.

Aus Erfahrungen, Studien und eigenem Leid wissen wir, dass suchterkrankte Menschen oftmals auch unter verschiedenen Ängsten leiden …

Dr. Dieckmann: Das wundert mich nicht. Wer würde schon über das Maß des (V-)erträglichen hinaus auf Dauer ein Suchtmittel in sich aufnehmen, wenn er gleichzeitig feststellt, dass es ihm erheblichen Schaden zufügt – zwischenmenschlich, in der Leistungsfähigkeit und gesundheitlich? Forschende haben schon vor langer Zeit festgestellt, dass hinter einer Suchterkrankung fast regelmäßig ein seelisches Problem steht, das die Lebensqualität erheblich einschränkt. Wir nennen das eine „Grundstörung“. Alkohol etwa hat da oft die Wirkung eines allumfassenden Hilfsmittels. Das beruhigt den eher Aggressiven, aktiviert den Gehemmten, löst Ängste. Die Droge stabilisiert in der Zeit der aktuellen Wirkung sogar das Selbstwertgefühl. Trinkende Menschen lernen dann, wie und wann bei ihnen welche Wirkung eintritt. Das können sie dann (fast) perfekt steuern.

Betroffene haben eher den umgekehrten Eindruck: Erst kommt das Trinken. Und dann die Angst, als eine der biopsychosozialen Folgen …

So erleben viele suchtkranke Menschen das, weil sie schnell gelernt haben, dass manchmal kaum gespürte Unbehagen zu mildern. Der gescheiterte Versuch der Selbstheilung mit dem Wundermittel endet ja leider meist im Desaster: Die ideale Substanz hat die „Nebenwirkungen“ des geistigen, körperlichen und sozialen Zerfalls. Deshalb kann man sich außer den körperlichen und sozialen Problemen tatsächlich auch eine seelische Störung „antrinken“. Ausgangspunkt ist aber zumeist eine im Hintergrund schwelende psychische Problematik, die den Betroffenen gar nicht bewusst sein muss.

Das heißt, so wie bei mir beispielsweise: Ich wusste nichts von meiner Angststörung, sondern ich habe mich mit Alkohol nur einfach viel leichter und endlich mal ohne den ständigen Druck von Sorgen gefühlt?

Ja. Sie oder er beginnt mit dem „einen“ Entspannungsbier und landet in der Gewohnheit bis zum Kontrollverlust. Allerdings entwickeln nur etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung eine manifeste Suchterkrankung. Da gibt es dann so etwas wie eine Spirale: Das Trinken lässt allmählich Schmerz, aber auch Angst und Konflikte verschwinden. Es kommt zur Gewöhnung und zur Dosissteigerung, um die volle Wirkung zu erhalten. Natürlich bleiben dann – meist für andere schneller – erkennbare dauerhafte Schäden nicht aus. Paradoxe, aber verständliche Folge ist der Versuch der weiteren Dosissteigerung. Er ist, wie wir wissen, zum Scheitern verurteilt. Die dauernde Verleugnung der eigenen Situation ist den meisten Abhängigen lange nicht einmal bewusst. Sie leben, wer weiß das besser als Ihre Leser, in einer anderen Welt und ein „unbelebter“ Stoff, wie es ein Kollege beschrieben hat, wird zum Partnerersatz, der scheinbar nur gibt und nichts fordert.

Aus all dem, was Sie Grundstörung genannt haben, interessiert uns aktuell vor allem die Angst.

Ich bin gelegentlich froh, mit Ängsten konfrontiert zu sein. Die Angst, auf der Straße überfahren oder in der Nacht Opfer eines Überfalls zu werden, ist mir nicht unangenehm. Sie hilft mir, aufmerksam zu bleiben und die notwendigen Maßnahmen zu treffen, mich vor einer Gefahr zu schützen. Ich durfte einmal einen alkoholkranken Patienten ein Stück des Weges seiner Genesung therapeutisch begleiten, der k e i n e Angst erleben konnte. Dafür wurde er von den Mitpatienten beneidet. Aber neben dem Genuss für die Bewunderung der anderen konnte er in ruhigen Stunden Geschichten erzählen, wie er in große Schwierigkeiten gekommen war, w e i l er keine Signalangst verspüren konnte. Angst ist also zunächst nicht krankhaft. Es gibt andererseits sogar die Lust an der Angst – im Sport, auf dem Jahrmarkt oder bei bestimmten sexuellen Praktiken.

Wie entsteht die Angst denn eigentlich?

Kleine Kinder gewinnen ihr Selbstbewusstsein durch eine verlässliche Bezugsperson, meist die bedingungslos liebende Mutter. Sie gibt dem Kind Sicherheit durch fast stetige Anwesenheit, bis das Kind die Gewissheit kennt, dass die Mutter immer wiederkommt. So können dann auch längere Phasen allein verbracht werden – ohne das Gefühl der Verlassenheit und der damit verbundenen Angst und Panik. Auch die Phase des „Fremdelns“ hat eine wichtige Funktion, nämlich bei jeder neuen Bekanntschaft zu prüfen, ob sie „gefährlich“ oder freundlich ist. Wovor das Kind sich fürchten sollte, lernt es ebenfalls von der Mutter. So dient die Angst dem Schutz des heranwachsenden Kindes. Not wendende Angst entsteht aus dem Erkennen des Unbekannten, um nicht in Gefahr zu geraten.

Dann wäre ja Angst gar nichts Krankhaftes?

Schön wär‘s. Aber Sie haben meiner Ansicht nach recht: Die Signalangst und die Furcht vor der Gefahr sind möglicherweise überlebenswichtig. Es gibt aber eben auch irrationale Ängste, etwa bei Menschen mit einer „generalisierten Angsterkrankung“, die zunächst Ängstlichkeiten entwickeln, die sich allmählich verstärken und verfestigen. Der Mensch wird zunehmend verunsichert und erlebt Angst und sogar die Angst vor der Angst bis in das Körperliche hinein. Solche Menschen haben in ihrer Entwicklung oft die innere Sicherheit nicht erlangen können, sich Schutz zu holen oder sich selbst zu beschützen. Solche Zustände treten auch auf, wenn es ein zunächst verdrängtes – also nicht bewusst erinnerbares – bedrohliches Trauma gab, dessen Angstgefühle dann im Erwachsenenalter erlebt, aber nicht verstanden werden, weil das Unbewusste die Erinnerung nicht freigibt. Spektakulär, aber in Gegenden mit zivilisierten Verhältnissen seltener sind akute Traumata, die ebenfalls das Grundgefühl einer eher inneren Sicherheit zerstören. Das kann entweder zu einer „Gefühllosigkeit“ oder einem Panikerleben führen.

Außerdem gibt es die Vermeidungsängste (Phobien). Wir kennen aber auch Zwangsängste, bei denen Furchtbares befürchtet wird, wenn man nicht bestimmte Handlungen vollführt. Weiterhin gibt es Ängste bei Depressionen, Schizophrenien und Borderlinestörungen und natürlich auch Ängste vor und bei körperlichen Erkrankungen und vor Schmerzen. Schließlich können auch Hirnerkrankungen große Ängste auslösen.

Viele Ängste kann man heute verstehend nachvollziehen wie im folgenden Beispiel die phobische Angst einer begüterten, aber nicht glücklichen Ehefrau und Mutter, die zuvor beruflich erfolgreich war, die aber nun das Haus nur noch in Begleitung ihres Mannes angstfrei verlassen konnte. Während einer Therapie stellte sich heraus, dass sie im Innern die ihr allein nicht zugängliche Befürchtung hegte, sie werde mit einem alleinigen Ausflug aus dem Haus den familiären Pflichten entfliehen und möglicherweise nicht wiederkommen. Sie fürchtete sich also vor den eigenen inneren Impulsen. Ihre Angst hielt sie im Zaum, genauer, im Haus, und verhinderte, dass sie sich ihrer Impulse bewusstwurde. Das Verlassen des Mannes und der Kinder lag außerhalb ihrer ihr zugänglichen moralischen Vorstellungen. Das Beispiel zeigt: Angst hat immer eine Funktion! Es ist nur die Frage, ob sie eine nützliche oder nicht nützliche, also dysfunktionale Bedeutung hat. Dieses Beispiel unterstreicht , wie wir komplementäre Seiten haben. Auch der gute Mensch hat egoistische Züge an sich und umgekehrt, der aggressive Mensch hat eine friedliche Seite und so weiter. Das gilt es zu erkennen und ohne Suchtstoffe miteinander in Einklang zu bringen, um die persönliche Individualität leben zu können.

 Eine Grundstörung, wie Sie sagen, ist also eine Art Auslöser für den Alkoholismus. Kann das Trinken nicht andersherum auch Ursache für psychische Störungen sein?

Da kommt es auf die Umstände an. Ein Mensch, der mit fünf Gläsern Bier durch die Woche geht, wird selten einen Schaden davontragen, wenn er nicht zu den wenigen Menschen zählt, die eine vererbte oder seelische Disposition haben. Natürlich ist es sinnvoll, deutlich weniger Alkohol zu sich zu nehmen. Wenn jemand aber mit seinem Drogenkonsum seine innere Orientierung verliert, dann sind psychische Symptome, also auch krankhafte Ängste und andere seelische Erkrankungen durchaus nicht auszuschließen.

 Alkoholentwöhnungs-Therapie und dann ab nach Hause … da nimmt man doch die Angststörung, gegen die man angetrunken hat, wieder mit und ist besonders rückfallgefährdet? Oder sollte erst eine Angststörung behandelt werden, bevor man entwöhnt?

Die Seele lässt sich nicht in kleine Module aufteilen und nacheinander abarbeiten. Manche sprechen sogar von „Doppeldiagnosen“, wenn von Sucht und einer zusätzlichen psychischen Störung ausgegangen wird. Diese Vorstellung ist mir fremd. In der Rehabilitation und der Psychotherapie besteht der Anspruch auf eine ganzheitliche – biopsychosoziale – Behandlung. Die Probleme hängen immer zusammen und sollten so auch behandelt werden, damit die Patientin oder der Patient sich (wieder)finden kann. Unser Selbstkonzept (das Kennen und Einordnen unserer Eigenschaften, zwischenmenschlichen und praktischen Fähigkeiten, aber auch Vorlieben) in die Eigenverantwortung zu nehmen, um kein selbstschädigendes Leben mehr zu führen. Das ist das Ziel jeder Behandlung. Ein Therapietourismus ist im Prinzip wenig hilfreich.

Wie wird einem Patienten mit Angststörungen psychotherapeutisch geholfen, welche Wege gibt es, wo finde ich Hilfe?

Zunächst gilt es, dass sich Menschen gesund entwickeln können. Dabei haben Eltern, Betreuer, Lehrer, ja, die ganze Gesellschaft eine hohe Verantwortung. Geliebte Kinder mit einer sicheren familiären Bindung und der Akzeptanz ihrer Persönlichkeit können mit Realängsten umgehen und leben in weniger ängstigenden Widersprüchen. Das ist die beste Vorsorge gegen Ängste und andere psychische Störungen. Da gibt es in unserer Gesellschaft noch viel zu tun. Ich nenne nur das Thema Inklusion: Das Schulsystem ist auf Anderssein nicht eingerichtet – und der Berliner Senat behauptet sogar wider besseren Wissens, die Inklusion sei verwirklicht. Das ist nur ein Beispiel gesellschaftlichen Versagens. Ein anderes ist die stets nur repressive Reaktion der Politik auf Gewalt. Sie entsteht aus Angst und braucht etwas anderes als staatliche Gegengewalt, nämlich Kultur im weitesten Sinn. Aber das weiß man eigentlich schon sehr lange. Und schließlich kann jeder einzelne Mensch mit einer freundlichen Beziehungsgestaltung dazu beitragen, seelische Konflikte bei sich und anderen zu vermeiden.

Auftretende Erkrankungen können stationär oder ambulant, teils medikamentös, aber wesentlich wichtiger, auch psychotherapeutisch behandelt werden. Da gibt es verschiedene Schulen mit vergleichbaren guten Ergebnissen. Verhaltenstherapeutinnen und -therapeuten bemühen sich darum, die Automatismen der Angstentwicklung zu unterbrechen und sie der eigenen Kontrolle zu unterwerfen. Psychodynamische Therapien unternehmen den Versuch, die Angstauslöser als bisher ungelebte Chance zu verstehen, die es künftig realistisch zu gestalten gilt.

Haben Sie dafür vielleicht ein Beispiel, ich kann es noch nicht verstehen. Ich habe Angst vor allem, was passieren könnte, das Haus brennt ab, oder es steht unter Wasser oder, oder … zum Beispiel die Spinnenphobie: Wie kann der Automatismus unterbrochen werden und wie es als Chance gesehen werden?

Die Tiefenpsychologie versucht mit der oder dem Betroffenen die Funktion der Angstentwicklung zu verstehen und deren zunehmende Dysfunktionalität, sodass die Psyche auf das Symptom verzichten kann. Das klingt, so kurz formuliert, sehr einfach, ist aber oft recht komplex, weil Verstehen noch nicht Heilung bedeutet. Das aufwendige Verfahren ist dafür nachhaltiger. Die Verhaltensmedizin setzt auf verschiedene, meist kognitive Verfahren. Bei der Spinnenphobie lässt die Therapeutin die Patientin etwa erleben, dass die Angst nicht nötig ist. Die Wirkung setzt so recht schnell ein.

Medikamente können ja auch eingesetzt werden und in anderen Staaten werden zum Teil schon Psychedelika wie Pilze oder LSD gegen Depressionen oder Ängste genutzt: Könnten sie Suchtkranken gefährlich werden?

Selbstverständlich sind Psychopharmaka auch im Einsatz und können unter der sorgfältigen Indikation eines suchterfahrenen Psychiaters eingesetzt werden. Anders ist es mit dem therapeutischen Einsatz von Psychedelika, also bewusstseinsverändernden Stoffen. Solche Stoffe werden bei Schmerzpatienten und in der Palliativmedizin eingesetzt. Für Menschen, die Erfahrungen mit der Sucht haben, sind sie – kurz gesagt – absolut ungeeignet.

Wie kann ein abhängiger Mensch mit Angststörung nun Hilfe finden?

Leider gibt es da große Probleme, weil es viel zu wenige Therapieplätze gibt und weil sowohl angst- als auch suchterkrankte Menschen oft mehr als einen Behandlungsanlauf brauchen. Psychotherapeuten rechnen ihre Leistung nach Sitzungsstunden ab. Wenn Patienten unzuverlässig sind, sinkt ihr Einkommen. Daher finden diese Patienten noch schwerer einen Therapieplatz.

Eine kompetente Anlaufstelle für Hilfe ist in Berlin die Angstambulanz an der Charité, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie | CCM – Charité – Universitätsmedizin Berlin (charite.de). Natürlich kann man auch mit dem Arzt seines Vertrauens über das Problem sprechen. Mit einer psychotherapeutischen Behandlung werden sehr gute Erfolge erzielt. Aus der Selbsthilfeszene weiß ich, dass suchtkranke Menschen aus verschiedenen Gründen oft der Therapie skeptisch gegenüberstehen. Ein sehr hilfreicher Anlaufpunkt ist dann die Selbsthilfe. Im Internet gibt es ein großes Angebot, vom „Selbsthilfe- und Stadtteilzentrum Neukölln“ bis zur „Mauerritze im Kulturhaus Spandau“. Krankenkassen, Caritas, die Diakonie und andere Verbände helfen bei der Suche nach lokalen Selbsthilfegruppen bundesweit. Wer nicht allein googlen kann, lässt sich helfen. Ein wenig Schutz vor unseriösen Angeboten bietet der Verzicht auf Nutzung von „Anzeigen“. Über die Wirksamkeit der Selbsthilfe brauche ich Ihrer Leserschaft keine Vorträge zu halten. Sie weiß, dass zwischenmenschliche Beziehungen zu neuen Erfahrungen führen, die die toxischen Illusionen chemischer Beziehungen weit übertreffen und haltbar bleiben.

Herzlichen Dank, lieber Dr. Dieckmann!

 

TrokkenPresse 04/23: Tiergestützte Therapie im Tannenhof

Tiergestützte Therapie* im Tannenhof e.V.:

Mit Esel Gustav zu mehr Selbstvertrauen …

Es versteckt sich verwunschen mitten im märkischen Wald, hier kommt kein Bus entlang: Man muss wandern von der kleinen Stadt Lindow aus. Etwa 1,5 km. Manchmal schimmert der Wutzsee durch die Bäume. Ziegen meckern. Birken stehen da eher weniger – aber es heißt dennoch „Haus Schönbirken“ und ist eine kleine Rehabilitationseinrichtung vom Tannenhof e.V. Berlin-Brandenburg. Für etwa 30 alkoholkranke Menschen für 12-15 Wochen die therapeutische „Käseglocke“. Viele der PatientInnen kommen hierher, weil sie genau hier sein wollen. In der Natur. Und bei den vielen Tieren der Einrichtung … Die tiergestützte Therapie ist nämlich gerade im Aufbau. Aber was können denn Hund, Schwein oder Hühner im Klinikalltag tatsächlich bewirken? Ein TrokkenPresse-Termin mit Ergotherapeutin Anne-Kathrin Melzer.

Ich bin zu früh. Warte in der kleinen Eingangsdiele des villenartigen Hauses. Wie immer vor einem Termin noch ziemlich angespannt von der ungewissen Bahn-Reise und sehr nervös. Und da kommt sie durch die Tür. Mit ihr ein mittelgroßer dreifarbiger Hund. Ich begrüße zuerst Anne Melzer, na klar, bin aber alsbald mit den Augen beim Hund. Und dann mit dem Herzen. Das merkt er und kommt freundlich auf mich zu, schnuppert und lässt sich gern streicheln. Weshalb er einen kleinen blauen Verband an der Vorderpfote trägt, frage ich. Und siehste, schon … sind wir zwei Menschen im Gespräch! Und plötzlich werde ich auch ruhiger. Komme an. Bin da. Hier – und nicht mehr in meinem Gedankenkarussell im Kopf. Weshalb ich diese erste Begegnung so ausführlich schildere, hat seinen Grund. Darauf kommen wir dann bald zurück …

 Anne, welche Tiere gibt es hier?

Außer meinem Therapiebegleithund Kalle noch Esel Gustav, der lebt seit 20 Jahren hier, zwei Ziegen, einen Schafbock, 20 Hühner, Meerschweinchen, Kaninchen und drei Schweine. In der Teichanlage im Innenhof Goldfische und Kois. Kalle und ich haben gemeinsam eine Ausbildung zum Therapiehundeteam hinter uns, er ist also das bisher einzige Therapietier, aber wir sind ja erst im Aufbau …

Was macht Kalle denn, als Therapiehund?

Kalle läuft frei herum und kann nach Belieben herangerufen, gekuschelt und gestreichelt werden.
Er ist dabei nicht aufdringlich, sondern abwartend. Je mehr man ausstrahlt, dass man ihm gutgesonnen ist, desto häufiger sucht er den Kontakt. Aber er bemerkt auch, wenn jemand in Ruhe gelassen werden will, das kann er gut akzeptieren. Das ist das eine …

Zwischenfrage, sein Wesen muss ja zu seinem Job passen?

Ja, er hat ein entspanntes Gemüt, kaum Aggressionspotential, ist so gut wie angstfrei und Menschen und anderen Tieren gegenüber wohlgesonnen. Als Mini-Australian-Shepard, als Hütehund, treibt er normalerweise seine Schafe, er braucht also immer eine Aufgabe. Das passt auch, wir machen hier viel Agility (Hindernisübungen, d. Red.), auch die PatientInnen mit ihm, er kann gut apportieren, geht über Hindernisse, läuft Slalom, dafür haben wir einen kleinen Parcours aufgebaut.

Wie kann Kalle den PatientInnen hier helfen?

Als bunter Hund sozusagen hat er schon mal einen Aufforderungscharakter … Du hast es vorhin selbst gemerkt, du hattest gleich das Bedürfnis, Kontakt aufzunehmen, ihn zu streicheln. Heute hat er zum Beispiel seinen Verband um eine Wunde und jeder hat sofort gefragt, was ist mit Kalle, was hat er gemacht? Du hast ja auch gleich reagiert. Hätte ich selbst ein Pflaster auf dem Arm, wäre da vielleicht nicht sofort jeder drauf eingegangen. Oder wenn ich ohne Kalle in die Einrichtung komme: Frau Melzer, wo ist den Kalle heute? Wenn er alleine um die Ecke kommt, fragt niemand, wo ist denn dein Frauchen heute. Ein Hund hilft, wieder Empathie zu entwickeln. Und Vertrauen. Zuerst zu ihm, später vielleicht auch wieder zu Menschen.

Weshalb ist das mit einem Hund leichter?

Er ist offen dir gegenüber, er ist nicht voreingenommen, egal, was du schon mal Doofes gemacht hast: Er gibt dir erstmal eine Chance, vorurteilsfrei. Kalle ist sozusagen ein bisschen die Brücke zwischen uns beiden jetzt, der Kontakt. Der Hund nimmt eine Vermittlerrolle zwischen uns ein. Was ich damit erreichen kann: Er kann bei den PatientInnen Ängste abbauen durch sein unvoreingenommenes Wesen, und wissenschaftlich erwiesen ist, dass das Streicheln Oxytocin freisetzt, ein sogenanntes Kuschel- oder Bindungshormon, ein Glückshormon. Es sorgt für Wohlbefinden. Durch die Berührung und durch das Kümmern, das Umsorgen. Das baut Stress ab und erhöht die Frustrationstoleranz.

Wie kann Agility nützen?

Ich mache den PatientInnen die kleinen Kunststückchen vor, zum Beispiel auf der Wippe, auf der Kalle bis zum Ende durchlaufen soll. Die PatientInnen können mich beobachten, auch die Körperhaltung und die Signalworte. Dann machen sie es mir nach mit Kalle. Das geht nur ganz in Ruhe, das Ziel klar im Kopf. Für viele ist das erstmal schwierig, wenn sie Einschränkungen haben, sich das alles zu merken, das ist fast eine Art Hirnleistungstraining. Und sie haben dann ein Erfolgserlebnis.

Aber wie können die anderen Tiere, die Nutztiere, für die PatientInnen hilfreich sein?

Die meisten PatientInnen haben einfach Freude im Umgang mit den Tieren. Das kann von Spannungszuständen ablenken, Depressionen für den Moment aufhellen. Sie können schöne Bindungen aufbauen. Dadurch entsteht bei vielen eine Empathiefähigkeit, die sie vorher vielleicht gar nicht hatten.

Was genau würde ich als Patientin denn tun mit den Tieren?

In meinem Bereich, ich bin für den Bereich Tiere/Garten/Handwerk zuständig, haben wir um 9 Uhr Arbeitsbesprechung. Wenn du für die Tiere zuständig bist, bereitest du das Futter zu, verteilst das in den Gehegen. Da muss auch geguckt werden, ob Reparaturen nötig sind. Wenn etwas stark verschmutzt ist, muss es gereinigt werden. Das Wasser wird gewechselt. Die Schweine brauchen jetzt im Sommer ihre Matschkuhle, das Gehege muss also bewässert werden. Und du sollst dir bitte viel Zeit nehmen, um den Esel oder die Schweine zu striegeln. Der Esel braucht manchmal noch eine Hufsäuberung und einen Spaziergang außerhalb. Und immer muss beobachtet werden, wie geht es den Tieren. Nachmittags können die PatientInnen einfach kommen und bei den Tieren Ruhe finden.

Wandern mit dem Esel?

Der Esel als Steppentier legt normalerweise viele Kilometer zurück, um Nahrung zu finden. Gustav ist aber schon 20, Tagestouren braucht er nicht mehr. Aber da er alleine lebt, er duldet keinen anderen Esel, braucht er Beschäftigung. Er wird draußen am Strick geführt, meist gehen zwei oder drei PatienInnen gemeinsam, falls doch mal Hilfe gerufen werden muss.

Und wenn er dann doch mal nicht weiterwill?

Der Esel bemerkt, ob er das mit dem Zweibeiner machen kann, ob er führt oder geführt wird.

Man muss sich also durchsetzen lernen?

Ja. Wir lassen auch nicht einfach jeden Patienten gleich ins Freiland mit ihm. Zuerst muss der Eselführerschein gemacht werden.

Eselführerschein?

Dafür müssen die PatientInnen, die das wollen, mehrmals in Begleitung Gustav am Strick führen, striegeln, die Hufe auskratzen … wenn er mal nach hinten ausschlägt und sie greifen trotzdem wieder hin und sagen, ok, ich mach jetzt aber weiter, er schlägt nur aus, weil er das Gleichgewicht verloren hat. Dann haben sie den Schein. Wenn da aber Angst ist, können sie gerne mitgehen, aber nicht der Eselführer sein.

Beim Esel müsste ich so selbstbewusst auftreten, dass ich die Führungsrolle habe. Das ist schon mal nicht ohne, wenn man fast ohne Selbstwert hier ankommt wie viele?

Aber sowas ergibt sich mit der Zeit, wenn man richtig hier angekommen ist. Und wer sich dann mit der Thematik auseinandersetzen möchte, kann das auch zum persönlichen Ziel machen: Ich möchte jetzt so viel Mut entwickeln, dass ich mir das traue und so viel Selbstbewusstsein, dass ich den Esel hier durch die Gegend führe.

Aber beim Hufesäubern hätte ich trotzdem ziemlich Angst …

Das hilft wiederum dabei, Gefühle zu erkennen und zuzulassen. Beim Striegeln oder Hufemachen haben viele erstmal Angst, die sich als Unsicherheit auf das Tier überträgt, das wird dann natürlich ein bisschen motorisch unruhig. Das besprechen wir dann gemeinsam und überlegen, was können wir verändern. Das ist sozusagen auch das Thema Beziehungsarbeit: Man muss sich halt erstmal kennenlernen, das passiert nicht von heut auf morgen. Aber in einigen Wochen sind sie dann meist schon eine Einheit, wenn es gut läuft, steigert das das Selbstwertgefühl.

Wer versorgt die Tiere am Wochenende, wenn Du nicht da bist?

Die PatientInnen. Wenn sie mir sagen, sie können die Verantwortung für die Tiere übernehmen, dann verlasse ich mich darauf. Ich sehe dann am Montag, wie es gelaufen ist. Meistens richtig gut. Natürlich passiert es, dass mal was vergessen wurde, aber nie so, dass ein Tier in eine Gefahrensituation gekommen wäre.

Gibt es auch PatientInnen, die nichts mit den Tieren am Hut haben?

Klar: Ich mag keine Tiere, ich wurde mal vom Hund gebissen, vom Pferd getreten, was auch immer – dann ist das so in Ordnung und wird ohne weiteres akzeptiert. Ich muss keinen bekehren.

Wie wird sich die tiergestützte Therapie hier noch weiterentwickeln?

Bis auf Kalle geht es zurzeit ja noch mehr so um die Versorgung der Tiere und den daraus entstehenden Nutzen für die PatientInnen. Ich möchte irgendwann noch mehr therapeutisch mit Nutztieren arbeiten. Mit den Ziegen haben wir zum Beispiel noch viel vor, sie brauchen auch Beschäftigung und wir wollen ihnen Kunststückchen beibringen, auch im Gelände mit ihnen laufen, Animal-Trekking, also Wandertouren mit Tieren machen. Um unser tiergestütztes Konzept noch weiter voranzubringen, den Patienten noch besser helfen zu können, möchte ich noch mehr fachliche Kompetenz erwerben. Deshalb strebe ich noch eine Zusatzqualifikation als Fachkraft für tiergestützte Intervention an …

Viel Erfolg und Danke für das Gespräch und die Führung, liebe Anne!

Anja Wilhelm

 * Die tiergestützte Therapie …

… entstand eher zufällig. Ein amerikanischer Therapeut hatte 1953-61 seinen Hund in die Sitzungen mitgebracht und erlebte, dass er durch ihn besseren Zugang zu den Kindern fand. Seitdem wird zum Thema fundiert geforscht. Bisher gilt diese Therapie mit zum Beispiel Therapietieren wie Hunden, Delfinen, Lamas Pferden usw. als alternativmedizinische Behandlung bei psychischen und psychiatrischen Erkrankungen. Die Studien ergaben z.B., dass das Streicheln eines Tieres den Blutdruck und die Herzfrequenz senkt, Endorphine freisetzt und die Dopaminausschüttung erhöht. Nachweislich reduziert der Umgang mit Tieren Stress, wirkt antidepressiv, entspannend, beruhigend und euphorisierend.

Bis jetzt bieten bundesweit zwar nur wenige, vor allem Rehakliniken diese Therapie an – oder zumindest die Mitnahme des eigenen Haustieres oder ein Nutztiergehege – aber es werden zunehmend mehr.

 

 

TrokkenPresse 03/23: Stiftung Welt der Versuchungen

Ganz neue Wege in der Suchtprävention mit der Stiftung Welt der Versuchungen

Kunst macht das Herz weich …

Einige Jahre lang grübelten die „Suchthilfe in Thüringen“, Landesstellen für Suchtfragen und viele andere darüber nach, wie Suchtprävention noch hilfreicher und zeitgemäßer gestaltet werden könnte. Angestoßen von der „Suchthilfe in Thüringen“ wurde 2021 die „Stiftung Welt der Versuchungen“ gegründet. Ein weltweit einzigartiges Ausstellungshaus soll entstehen. Inzwischen mit 15 Millionen Euro gefördert vom Bund ermöglicht dieser Betrag Bau und Einrichtung des Hauses; das Thüringer Gesundheitsministerium fördert das Projektbüro. Ziemlich viel Geld für eine Vision, könnte man denken, wenn auf der anderen Seite Projekte für Alkoholabhängige schließen, Suchtberatungsstellen um ihren Erhalt bangen und Kliniken ihre Suchtstation schließen müssen … Aber vielleicht sorgt eben dieses Haus dann sogar dafür, dass es weniger abhängige Menschen geben wird? Wir haben deshalb genauer nachgehakt, was da in Erfurt entstehen soll. Die TrokkenPresse im Gespräch mit Chef-Kuratorin Dr. Susanne Rockweiler.

Haben Sie persönlich etwas mit Sucht zu tun, vielleicht im Umfeld?

Ich dachte zuvor, dass ich keine Menschen in meinem Umfeld mit Suchtproblemen habe. Über die Tätigkeit hier wird mir öfter bewusst, dass manche Freunde und Freundinnen oder Bekannte einem Kippmoment nahe sind. Mir fällt häufiger auf, dass sie beispielsweise abends zu viel und generell zu oft Alkohol trinken. Über die Tätigkeit bei der Stiftung Welt der Versuchungen bin ich diesbezüglich sensibler geworden.

Warum haben Sie sich denn als Kuratorin (*) von Kunstausstellungen jetzt diesem Thema Suchtprävention gewidmet?

Ich arbeite seit vielen Jahren im Ausstellungswesen, habe aber in der Tat noch nie eine Ausstellung zum Thema Suchtprävention gemacht. Mir fiel auf, dass sich bei vielen KünstlerInnen das Thema Alkohol und andere Drogen wie ein roter Faden durch Leben und Werk ziehen. Nehmen wir zum Beispiel David Bowie: Er war abhängig und kam nach Berlin, um sich allem zu entziehen. Ein großer Teil seines Arbeitsantriebs war eine Verleugnung seines Lebens. Er hat von 1976 bis 1978 in Berlin gelebt, kaum mehr konsumiert und dann drei wunderbare Platten veröffentlich.

Es geht um eine ganz neue Art der Suchtprävention, von Wissenschaft und Kunst gemeinsam, weshalb braucht es denn so etwas?

In der Suchtprävention gibt es nicht DEN einen Ansatz. Und es wurde festgestellt, dass es eigentlich eines Zwischenschrittes bedarf. Denn wenn ich feststelle, dass ich eine Disposition habe, wenn ich merke, ich kann von etwas nicht mehr lassen, dann ist es für Prävention eigentlich schon zu spät. Wir sollten schon vorher zum Nachdenken animiert werden. Das Enttabuisieren und Entstigmatisieren sind Ziele unseres Hauses. Es gibt viele Mythen und Märchen um und über Drogen und es gibt zudem Verhaltensabhängigkeiten. Durch die Wissenschaft erfahre ich, was evidenzbasiert ist. Über Kunst komme ich ins Gespräch.

Wenn ich zum Beispiel meinen Kindern sage, trinkt auf gar keinen Fall Alkohol, raucht auf gar keinen Fall eine Zigarette, hilft das? Hilft es, wenn ich ihnen Bilder von Raucherlungen zeige? Die Wissenschaft kommt zu dem Ergebnis: Nein, das hilft nicht oder nur kurzfristig. Wir wollen in unserem Haus aufzeigen, was der aktuelle Forschungsstand ist. Wir wollen informieren, zum Nachdenken anregen und wir wollen emotionalisieren. Was passiert in Körper und im Kopf, wenn ich von etwas nicht lassen kann? Es geht nicht nur um Alkohol, Zigaretten oder andere Substanzen. Essen, Arbeit, Medienkonsum – vieles kann ein gesundheitsschädliches Ausmaß annehmen. Nehmen wir die Social Media: Wann bin ich gut informiert und gesellschaftlich eingebunden und wann ohne Internet wie auf Entzug? Das sind Fragen, die wir uns stellen.

Welche Rolle spielt die Kunst aber nun genau dabei?

Kunst kann uns berühren und unser Herz weich machen. Sie kann uns anregen und aufregen. Kunst ist eine Möglichkeit zu fühlen. Und wenn ich fühle, bin ich näher bei mir. Sind wir mit anderen in einer Ausstellung, werden die einen sagen, dieses Objekt ist wunderschön; anderen sagt es nichts. Beim Sprechen darüber sehen wir mehr und erfahren mehr über uns und andere. Wir kommen ins Nachdenken und ins Gespräch.

Aber WIE sollen die Kunst-Ausstellungsstücke aussehen, was erwartet mich?

Sie können ab 20. Oktober dieses Jahres in Erfurt in eine erste kleinere Ausstellung der Stiftung gehen. „On a Night Trip“ beschäftigt sich mit dem Nachtleben.

 Ich kann es mir nicht vorstellen …

Wir zeigen zum Beispiel eine große Holzschnittarbeit, auf der das Wort ‚Funktionieren‘ steht. Was erwarten wir denn vom Nachtleben? Wir möchten einen Kontrast zum Alltag. Das Nachtleben eröffnet einen Bereich, in dem ich mal nicht funktionieren muss. Zu sehen sind rund zwanzig Arbeiten, darunter eine Videoarbeit von Adrien Piper, einer amerikanischen Künstlerin: Sie tanzt bei Tageslicht auf einem Platz, ganz für sich allein. Wir wollen damit zeigen, dass Tanz etwas ist, was uns ganz zu uns bringen kann. Wir können uns Inseln in unserem Alltag schaffen. Wir brauchen nicht zwingend das fünfte Bier oder irgendeine andere Substanz, um zu uns zu kommen. Wenn ich zum Beispiel morgens zu einem Song, den ich mag, summe, singe oder mich bewege, dann hat der Tag schon eine ganz andere Fasson. Und dann brauche ich eben keine radikalen Kontrastbrüche, wie: Heute möchte ich etwas anderes erleben, möchte mich entspannen und dazu brauche ich etwas, was meinem Körper mittel- und langfristig nicht guttut.

Und wie werden die Kunstobjekte mit der Wissenschaft verknüpft?

Wir arbeiten unter anderem mit der Charité Berlin zusammen und zeigen ein Virtual Reality Spiel. Es ist an einer dänischen Universität in Zusammenarbeit mit jungen Leuten entstanden. Als Besucherin bestimmen Sie Ihre eigene Party-Geschichte. Das heißt beispielsweise, Sie treffen sich mit Freunden vielleicht zum „Vorglühen“ oder Sie können auch sagen: Liebe Freunde, heute bleibe ich bei Cola. In dieser VR-Brille sehen Sie, wie ihr Körper darauf reagiert und können Alternativen wählen: Sie sehen eine Person, die Sie attraktiv finden, und können entscheiden: Stellen Sie sich mit ihrer Cola dazu und flirten oder zu den anderen, die vielleicht sagen, Sie seien ein Spaßverderber, wenn Sie nicht mitzutrinken.

 Was kann das denn beim Besucher bewirken?

Wir wollen mit diesem Spiel Möglichkeiten aufzeigen und Menschen ertüchtigen, nein zu sagen und zeigen, dass trotz eines Neins Freunde Freunde bleiben. Das Nein ermöglicht vielleicht eine neue Freundschaft oder einen schönen Flirtabend, statt schlechtem Gewissen oder dickem Kopf am nächsten Morgen.

 Ah, jetzt wird es vorstellbar. Vorher war es eher etwas nebelig für mich…

Das kann ich sehr gut verstehen, das geht vielen so. Manchmal geht es uns auch so, denn das, was wir machen, gibt es noch nicht. Man könnte von hier bis Neuseeland reisen… es gibt kein Haus, das sich auf diese Art und Weise mit Gesundheitsförderung und Suchtprävention beschäftigt. Es gibt immer mal Ausstellungen zu einem Sonderthema, zum Gehirn, zu Substanzen, aber ein ganzes Haus, das sich mit der Thematik auseinandersetzt, gibt es noch nicht. Deshalb möchten wir vieles einfach ausprobieren.

Für wen ist das Haus gedacht?

Das Haus ist für alle da. Wir werden es niederschwellig gestalten. Abhängigkeit ist ein gesellschaftlich relevantes Thema und wir sind alle Teil der Gesellschaft. Versuchungen gibt es viele. Fast jeder hat einen dunklen Fleck, sei es der Zuckerkonsum, Alkohol, Zigaretten, Arbeit oder etwas anderes. Also kommen Sie in die Ausstellung, seien Sie neugierig, machen Sie eine Führung mit und am Ende sprechen wir darüber! Und wenn zum Beispiel eine Familie kommt, die dann abends am Tisch darüber diskutiert oder schon bei uns im Café der Sohn zur Mutter sagt, ey, du musst doch jetzt um 16 Uhr keinen Wein bestellen, bestell doch eine Cola, wir haben das doch gerade gelernt … Und die Mutter dann sagt, ja, wenn ich mir jetzt einen Cappuccino bestelle, dann möchte ich aber, dass du heute Abend nicht kiffst … dann ist ein kleiner Schritt getan und ein erstes Tabu gebrochen.

Ein Grundstück ist nun gefunden. Wie soll das Haus aussehen?

Das hängt vom architektonischen Siegerentwurf ab. Der Wettbewerb soll diesen Frühling starten. Wir wünschen uns einen modernen, nachhaltigen Bau, der, wie unsere Inhalte, überrascht und in dem sich die Menschen wohlfühlen.

Stellen Sie sich bitte vor, es ist 2026, irgendein Montag 10 Uhr. Was findet statt gerade?

Sie sehen in den Ausstellungsräumen junge Menschen, die auf dem Boden sitzen im Schneidersitz und ein Objekt abzeichnen. Im anderen Raum sehen Sie Objekte, in die Sie hineingehen können oder Musik hören. Sie können sich mit ihrer Playlist auf ihrem Handy einloggen oder klassische Musik anhören. Sie erleben Räume, in denen Sie sich viele Fragen stellen, dort laden wir Sie zum Gespräch ein. Eines der zentralen Objekte wird eine Gehirninstallation sein, an der Sie ausprobieren können, was in Gehirn und Körper passiert, wenn Sie einmal die Woche zwei Bier trinken. Sie können auch auswählen: jeden Tag fünf Biere, was passiert dann da, über die Dauer eines Monats? Oder was passiert in Kopf und Körper, wenn Sie flirten? Die Installation erklärt unser Belohnungssystem.

Ein Ziel des Hauses soll auch sein, innere Stärke, Resilienz wachsen zu lassen. Auf welche Weise?

Zum Beispiel mit Objekten wie der schon beschriebenen Videoarbeit: Sie ermutigt, sich zu trauen, zu Hause zu tanzen, im Badezimmer das Radio oder Handy anzumachen und sich beim Zähneputzen zum Beat der Musik zu bewegen. Musik wird eine große Rolle spielen, aber auch Kunstwerke, die einfach so bezaubernd schön sind, dass Sie aus diesem Raum gar nicht mehr weggehen möchten. Immer, wenn wir fühlen, verknüpfen sich in unserem Gehirn Nervenzellen. Sie verbinden sich mit dem Erinnern. Schöne Momente bleiben lange im Gedächtnis. Wir möchten Sie animieren, selbst bildnerisch-praktisch zu arbeiten oder einen eigenen Rap zu schreiben, gerne auch mit Ihren Freunden oder der Familie. Was suchen wir? Wie können wir uns ohne Blues belohnen?

Wenn ich als trockener Alkoholabhängiger ins Haus komme, könnte mich da irgendetwas triggern?

Das ist eine sehr gute Frage. Wir denken darüber nach, dass in Restaurant und Café kein Alkohol ausgeschenkt wird. Und wir möchten bei den kommenden Ausstellungen vorab Menschen wie Sie als Betroffene einladen, um sicherzugehen, dass es in der Tat keine Triggerpunkte gibt. Und wenn es welche gibt, müssen diese abgeschottet und mit Warnhinweisen versehen werden.

Also: Ich bin begeistert von dieser Vision. Viel Erfolg und herzlichen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Anja Wilhelm

(*) Der Kurator (latein. curare‚ sich sorgen um) oder Kustos (vom lateinischen custos ‚Wächter‘) gestaltet Ausstellungen oder betreut Sammlungen wie beispielsweise in Museen.

TrokkenPresse 02/23: Trauma und Sucht

Neue Erkenntnisse, neue Praxis-Erfahrungen:

Was hat Sucht mit Trauma zu tun?

Warum benutzt ein Mensch Suchtmittel, bis er letztlich abhängig davon wird? Die Faktoren, die dazu führen können, sind vielfältig: Umfeld, Verfügbarkeit, Gene usw. Die Behandlung besteht darin, zu entgiften und ein Leben ohne Suchtmittel zu erlernen. Aber was, wenn zum Beispiel auch, wie Forschungen der letzten Jahrzehnte ergaben, traumatische Erfahrungen eine der Ursachen sind und die Suchterkrankung eine Traumafolgestörung ist? Müsste das Trauma nicht ebenso „mitbehandelt“ werden – um zum Beispiel Rückfälle zu vermeiden? In vielen deutschen suchttherapeutischen Einrichtungen ist dies noch nicht oder nur unzureichend der Fall. Der ärztliche Leiter der Tannenhof-Tagesklinik in Berlin aber, Adrian Erben, hat dafür ein Konzept entwickelt und setzt es dort seit einem Jahr erfolgreich um. Und ab Mai übrigens dann ebenso auch in der Hartmut-Spittler-Klinik Berlin als neuer leitender Oberarzt.

Zur Person:

Adrian Erben, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Fachkunde Suchtmedizin, leitet seit über einem Jahr die Tagesklinik der Tannenhof Berlin-Brandenburg gGmbH. Ab 1. Mai wechselt er als neuer leitender Oberarzt in die Hartmut-Spittler-Klinik Berlin. Seit 25 Jahren ist er im Suchtbereich tätig, (u.a. an der Oberbergklinik Schwarzwald, im Gezeiten Haus Wendgräben). Er qualifiziert sich gerade auch zum Traumatherapeuten. Eins seiner Ziele: Traumatisierten Abhängigen Menschen im Rahmen einer Entwöhnungsbehandlung ein erstes Beziehungs- & Behandlungsangebot hinsichtlich ihrer Traumaerfahrung/PTBS zu machen.

 

Ein Trauma ist eine starke psychische Erschütterung, begleitet von großer Angst, Ohnmachtsgefühl, Hilflosigkeit – hervorgerufen durch bestimmte Ereignisse. Eine der Folgen kann z.B. eine posttraumatische Belastungsstörung sein, PTBS. Was genau ist das?

Die PTBS ist die Folge einerseits eines Monotraumas wie Kriegsausbruch, Flugzeugunglück, Zugunfall, Vergewaltigung, also eines einmaligen heftigen Ereignisses. Andererseits kann es aber auch ein sequenzielles Trauma sein, d.h. wenn zum Beispiel ein Kind von seinem Stiefvater über Jahre hinweg sexuell missbraucht wurde oder wenn man Mikrotraumatisierungen ausgesetzt war, vor allem in der Kindheit oder Jugend: Wenn der Vater, schwer alkoholkrank, nach Haus kommt und die Mutter jeden Abend schlägt. Solche Traumaereignisse führen auch dazu, dass sich im Gehirn fragmentarische Erinnerungsfetzen abbilden, die woanders abgespeichert werden als andere Erinnerungen. Wie in einem Spiegel, der zerbricht, setzen sich punktuell einzelne Teile, Bilder, im Gehirn fest, die auch Jahre später durch sogenannte Trigger plötzlich wieder auftauchen und kaum aushaltbar sind.

Kaum aushaltbar – kommen da die Suchtmittel ins Spiel?

Ja, denn Suchtmittel wie Alkohol, Benzodiazepine, THC zum Beispiel werden dann oft zur Selbstmedikation eingesetzt, um eben diese Bilder oder andere Trauma-Folgen wie eine Angststörung oder Depression aushalten zu können, zu verdrängen, um am Leben teilnehmen zu können. Denn die Menschen nehmen an der Umwelt oft gar nicht mehr teil, weil sie immer wieder Angst haben, re-traumatisiert zu werden. Außerdem sind sie enorm schnell übererregbar, was auch schwer aushaltbar ist und wobei das Suchtmittel dazu dienen kann, sich wieder herunterzubeamen. Ohne das Suchtmittel wären sie vielleicht schon längst völlig zerbrochen. Es ist wie eine Krücke, wie ein Medikament, ein Schutz.

Ein Trauma führt aber nicht immer in die Sucht?

Es gibt Menschen, die haben schwerste Erfahrungen gemacht und können ganz gut damit leben und überleben, sie hatten andere Strategien und Möglichkeiten. Das ist abhängig von Resilienzfaktoren, zum Beispiel vom Umfeld in der Kindheit, wie geschützt und sicher fühlte ich mich da … Wenn jemand z. B. vom Stiefvater missbraucht wurde, sich an seine Mutter wendet und die reagiert adäquat, beendet diese Beziehung und zeigt diesen Stiefvater an, dann erlebt das Kind, dass es beschützt wird und kann selbst mit der heftigen Missbrauchs-Erfahrung besser umgehen, als wenn die Mutter dem Kind nicht glaubt, es alles über sich ergehen lassen muss und niemanden hat, den es ansprechen kann. Diese Ohnmacht ist das A und O einer traumatischen Erfahrung.

Soweit ich das erlebt habe, spielte aber der Zusammenhang Trauma-Sucht bisher kaum eine große Rolle in der Suchtbehandlung?

Es wurde lange Zeit immer getrennt: Wenn Patienten mit einer Trauma-Erfahrung und zugleich einer Abhängigkeit eine Traumatherapie machen wollten, wurde ihnen gesagt, sie müssten vorher die Sucht behandeln. Und umgekehrt habe ich erlebt, dass immer dann, wenn in der Suchtbehandlung ein Trauma deutlich wurde, möglichst ein Bogen darum gemacht wurde: Wir behandeln hier nur die Sucht – die Büchse der Pandora öffnen wir hier nicht – und wenn das fertig ist, dann können Sie sich, wenn sie stabil und trocken sind, der Traumabehandlung zuwenden. Dabei ist es wahnsinnig schwierig, überhaupt einen Traumtherapeuten zu finden, erst recht als Suchtpatient, weil umgekehrt dieser natürlich im Traumabereich auch mit Glacéhandschuhen angefasst wird – weil er erstmal lange stabil sein soll, bis er behandelt werden kann. Und das heißt, diese Menschen stehen im Regen, egal, wo sie hingehen. Dann passiert es, dass sie bei Traumatherapeuten, damit sie die Therapie machen können, ihre Sucht verschweigen und umgekehrt im Suchtbereich ihr Trauma.

Wie viele der Suchtkranken haben traumatische Erfahrungen?

Es gibt diverse Studien. Bei 60-70 Prozent der suchtkranken Frauen liegt ein traumatischer Hintergrund vor, bei Männern sind es 40-50 Prozent. 10-20 Prozent aller Patienten haben eine ausgewachsene Posttraumatische Belastungsstörung, und 30-50 Prozent schwere traumatische Erfahrungen gemacht, die dann später auch zur Sucht führten.

So viele! Aber wenn nun das Trauma in der Sucht-Behandlung gar keinen Platz findet …

Ich habe mir mal genauer angeguckt, wer trotz guten Verlaufes der Entwöhnungsbehandlung dennoch schnell wieder rückfällig wird: Das sind zum größten Teil Trauma-Patienten. Menschen, die es zwar schaffen, eine Langzeittherapie durchzuhalten – aber kaum verlassen sie das geschützte Umfeld einer Einrichtung, gehen nach Hause, dann realisieren sie, dass sie für das, wofür sie das Suchtmittel eingesetzt hatten, gar kein Werkzeug haben, damit umzugehen. Dass es ihnen nichts nützt, gelernt zu haben, wie sie abstinent sein können, wenn die Bilder auftauchen, die sie in die frühere traumatische Erfahrung zurückbringen, die so schwer aushaltbar sind.

Was ist also zu tun?

Diesen Menschen müssen und wollen wir schon während der Entwöhnungsbehandlung bei uns etwas anbieten. Denn „nur“ mit Suchtbehandlung, ohne Handwerkszeug, diesen Bildern trocken zu begegnen, werden diese Menschen schnell wieder rückfällig. Da habe ich geguckt, gibt es überhaupt schon irgendwelche Konzepte? Ja, ich musste nichts Neues erfinden, es gibt ein Therapiemanual von Lisa M. Najavits, „Posttraumatische Belastungsstörung & Substanzmissbrauch/DD Abhängigkeit“, erschienen 2002 in englischer Sprache in 2. Auflage 2019 im Hogrefe-Verlag. Dieses Programm hat sich in den USA bewährt. Aus den 25 Sitzungen machen wir 12, mit zwei Terminen pro Woche, in denen wir mit den Patienten schauen, wie können sie gut für sich selber sorgen, wie können sie Hilfe einfordern und Strategien entwickeln.

Wer nimmt daran teil?

Wir haben immer zehn PatientInnen in einer Gruppe. Voraussetzung sind eine Abhängigkeitserkrankung plus posttraumatische Belastungsstörung oder schwere Traumafolgestörung, d.h., sie haben schwere traumatische Vorerfahrungen in Kindheit, Jugend oder im späteren Leben gemacht. Wir haben PateintInnen mit Entwicklungstraumata, wo schwere Vernachlässigung, Verwahrlosung, sexueller oder emotionaler Missbrauch schon in der Kindheit vorlagen. Wir haben aber auch Patienten wie den Sanitäter, der im Kosovo vor über 20 Jahren stationiert war. Er wurde Zeuge der Massenvergewaltigung eines 12-jährigen Mädchens, allen Beteiligten der Bundeswehr war nicht erlaubt, einzugreifen, weil es sonst zu einer Eskalation hätte kommen können. Ihm ging das total nahe, er war verzweifelt und diese Ohnmachtserfahrung erlebte er immer wieder neu, griff zu Suchtmitteln und entwickelte eine Abhängigkeit. Er kannte kein anderes Instrument, mit diesen Bildern umzugehen. Oder der Bundeswehrsoldat, der in Afghanistan war. Als Scharfschütze hatte er den Befehl, auch auf Kinder zu schießen, wenn Gefahr bestand, dass sie Selbstmordattentäter sind. Im Nachhinein hat sich aber häufig der Verdacht nicht bestätigt. Er hat seinen Dienst quittiert, er konnte nicht mehr. Er ist mit der Normalität in Deutschland dann kaum mehr zurechtgekommen, das hat auch zur Suchterkrankung geführt. Und da wird so deutlich, dass es einen Zusammenhang gibt! Deshalb ist es mir eine Herzensangelegenheit, diese Menschen nicht zu vertrösten, sondern mitzunehmen …

Ist Traumatherapie denn in vier Monaten machbar?

Nein, in den 3 oder 4 Monaten Suchttherapie kann man parallel kein Trauma aufarbeiten. Das ist ein Prozess, der Jahre dauert. Aber wir können hier was anstoßen! Mir ist viel mehr wichtig, dass die Menschen hier so sein dürfen, wie sie sind, auch mit ihrem Trauma, das darf hier Platz haben. Es gibt ihnen Hoffnung, zu erfahren, dass zwar die Sucht eine chronische, aber gut behandelbare Erkrankung ist, aber eine traumatische Erkrankung sogar im besten Sinne heilbar ist! Wir können hier die Saat legen, den Anfang der Therapie machen. Und dann leiten wir sie natürlich weiter, wenn sie stabil abstinent sind. Wenn sie das dann überhaupt noch wollen. Es gibt Menschen, die gehen hier raus und sagen herzlichen Dank, das hat mir was gegeben, aber ich glaube, das Trauma selbst muss ich gar nicht weiterbearbeiten, ich habe jetzt Handwerkszeug genug. Und es gibt Menschen, die sagen, das klingt spannend, es gibt Möglichkeiten, das Trauma in meine Geschichte zu integrieren als Teil meines Lebens, so dass es nicht meine Identität ist? Da ermuntere ich dann und versuche, ein Netzwerk herzustellen, mit der Charité, traumatherapeutischen Praxen, mit der Akademie für integrative Traumatherapie … Wir bringen etwas in Gang, womit sich die Menschen nicht mehr alleingelassen fühlen.

Nochmal zur Gruppe, was genau passiert da?

Wir nennen sie nicht Trauma-Gruppe, denn das wäre immer wieder eine Erinnerung daran, da ist was Schreckliches passiert, sondern „Sicherheit finden“.  In der ersten Woche wird erst mal erklärt, was hier überhaupt passiert, damit sie wissen, hier bin ich sicher, ich kann hier so sein, wie ich bin. Und dass sie zwar ihr Trauma erzählen dürfen, aber nicht müssen. Dann geht es darum, was eine PTBS ist, die PatientInnen kreuzen selbst die Kriterien der Klassifikation psychischer Erkrankungen an. Es ist nämlich dann gar nicht mehr so frustrierend für die PatientInnen, wenn sie realisieren, ich habe jetzt eine Idee, was mit mir los ist. Ich bin ja gar nicht bekloppt. Das ist eine Riesenentlastung, da fließen oft die Tränen.

Welche Strategien, mit dem Trauma zurechtzukommen, kann man lernen?

Eine Gruppensitzung beinhaltet zum Beispiel das Thema Mitgefühl mit sich selbst. Wie mache ich das? Eine nächste heißt, „Gefahren- und Sicherheitssignale“, also wo begebe ich mich in Trigger-Gefahr, woran könnte ich das erkennen? Es geht darum, ein Frühwarnsystem zu etablieren. Dann gibt es die spannende Stunde, „Um Hilfe bitten“. Denn oft stehen Scham und Ohnmachtserfahrung im Weg. Vielleicht hatte jemand um Hilfe geschrien, ausgeliefert an den Täter, und hat sich gemerkt, ich kann nur mir selber helfen. Aber das Bitten um Hilfe ist so notwendig, wir leben in einer Welt, in der wir nicht alleine überleben können, wir brauchen immer irgendwann einen anderen. Eine andere Stunde beschäftigt sich damit, gesunde Grenzen zu setzen und ein Baustein zum Beispiel sind auch unsere Erdungsübungen.

Erdungsübungen?

Was machen wir, wenn diese Bilder kommen? Uns verankern im Hier und Jetzt. Denn wenn die alten Bilder kommen, bin ich im Dort und Damals. Also Füße auf den Boden stemmen, auf die Atmung achten zum Beispiel. Wo bin ich gerade, den Wievielten haben wir heute, welches Wetter, welche Uhrzeit, warum bin ich hier. Denn wir können nur eins machen, nicht hier und dort zugleich sein. Spüren Sie mal, wie fühlt sich die Lehne des Sessels an … ich verankere mich mit dem, was jetzt gerade ist. Bei der gedanklichen Erdung lernen sie, ihre Bilder zum Beispiel in einen Container zu packen und eine Entfernung herzustellen, vielleicht so, dass er mit dem Schiff davonfährt. Die Patienten erfahren damit, dass sie ihrem Trauma-Material nicht ausgeliefert sind, sondern mit ihm spielen können. Sie lernen bei uns, dass es bessere Strategien gibt als zu trinken.

Wie finde ich heraus, ob ich eine Traumafolgestörung habe?

Wenn Sie alle Fragen nach den Kriterien der ICD-10 (International Classification of Diseases) der WHO, Code F43.1., ankreuzen können, haben Sie eine PTBS. Wenn nur einiges zutrifft, wenn Sie dieses Ereignis immer wiedererleben, Sie depressiv geworden sind, eine Angsterkrankung entwickelt haben oder gar nicht mehr das Haus verlassen, also Teilsymptome haben, dann liegt eine Trauma-Folgeerkrankung vor.

                                                                                               Das Gespräch führte Anja Wilhelm

Info:

Falls Sie Interesse haben an dieser Behandlung, melden Sie sich bitte hier:
-Therapeutische Leitung und Abteilungsleitung der Tagesklinik des THBB, Frau Sigrid Czajka: sigrid.czajka@tannenhof.de, telefonisch 030/863919039 bzw. (bis zum 30.04.2023) als Ärztlicher Leiter Herr Adrian Erben, adrian.erben@tannenhof.de, 030/863919037

-Ab Mai 2023 dann auch unter adrian.erben@vivantes.de, Tel.: Hartmut-Spittler-Klinik, 030/ 130208604.

TrokkenPresse 01/23: Markus Majowski

Im TrokkenPresse-Interview: Markus Majowski

Du bist doch der lustige TV-Markus, das kann doch gar nicht sein?

In der vergangenen Ausgabe stellten wir das Zirkuswagenprojekt des Trockenbau e.V. in Barth vor. Pate des Projekts, Sie erinnern sich, ist Markus Majowski. Wie kommt ein prominenter Schauspieler, Komödiant und Produzent dazu, alkoholkranke Menschen zu unterstützen? Ist er vielleicht selber …? Ja, ist er. Vor zehn Jahren outete er sich öffentlich als drogen- und alkoholkrank. Zuerst in einer Talkshow, später dann in seiner 2013 erschienenen Autobiographie: „Markus, glaubst Du an den lieben Gott?“ (Rezension S. XX). Seit 14 Jahren nun ist er trocken und clean. Wie er es wurde, was ihm dabei half, wie sich sein Outing damals auf seine Karriere auswirkte …

Zuerst zum Zirkuswagenprojekt, lieber Markus: Wie bist Du Pate geworden, warum und was genau machst Du da?

Die haben sich damals einfach ganz lieb bei mir gemeldet, das Projekt am Telefon vorgestellt und das hat mich überzeugt. Weil es eben die ersten Schritte aus der aktiven Sucht betrifft, ins betreute Wohnen. Die möchte ich unterstützen. Ich habe dort einen Literaturabend gegeben, Rilke-Gedichte gelesen, in denen es um Sehnsucht geht, Verzweiflung und im weitesten Sinne auch um Liebe, um dieses mehr hin zu einer höheren Macht, verstärkt mit Zitaten aus dem blauen Buch der AA. Es ging um das Annehmen der Krankheit und das Gottvertrauen. Es war so schön, so berührend für alle, auch für mich, dass wir beschlossen haben, wir machen das wieder.

Du bist auch zum Beispiel Botschafter des Deutschen Kinderhilfswerkes, hast in Bremen ein Zentrum für trauernde Kinder mit aufgebaut, machst gerade ein Theaterprojekt mit Kindern an einer Grundschule … Warum tust Du das alles?

Um weit wegzukommen von dem einst aufgeblasenen Markus, dem erfolgreichen Markus, der dann gescheitert ist. Und eben auch, um wieder etwas zurückzugeben an die Gesellschaft. Meine Umtriebigkeit, meine aktive Sucht … da wurde mir geholfen, mir der Arsch gerettet. Das Gesicht bestimmt noch nicht, vieles kann man auch nicht mehr rückgängig machen. Ich bin über jede Aktion dankbar, mit der ich bodenständiger werde. Einfach so normale Dinge tun und für andere ein bisschen da sein. Dafür habe ich auch mein Gebet: „Befreie mich von der Last meines übermäßigen Egos, gib mir die Chance, ein anständiger Kerl zu sein, nützlich und dienlich dieser Gesellschaft, damit dein Sieg über Narzissmus, Egoismus und Boshaftigkeit Zeugnis von deiner unendlichen Macht, Größe, Liebe und Führung ablegen möge vor den Menschen, denen ich helfen möchte. Möge ich immer deinen Willen tun.“ Das ist mein Gebet an die Higher Power, an die höhere Macht, für mich an Gott.

Den Buchtitel „Markus, glaubst Du an den lieben Gott?“ beantwortest Du also mit ja?

Ich wünschte manchmal, ich hätte den Titel mit einer Klammer versehen: Markus, glaubst du an den lieben(den) Gott? Aber „Markus, glaubst du an den lieben Gott?“ ist das, was meine Großmutter mich fragte. Sie hat mich beim Stibitzen erwischt und mancher kleinen anderen Unsäglichkeit. Sie wollte wissen, ob ich denn glaube, dass es einen Gott gibt, der alles sieht. Aus meinem kindlichen Verständnis heraus habe ich das so beantwortet: Ja, ich glaube an den lieben Gott, aber ich glaube nicht, dass er petzt … Ich dachte, der wird schon alles zulassen, was ich mache, der wird mir auch vergeben, wenn ich lüge und trickse. Er ist kein strafender, sondern ein lieber Gott, der alles verzeiht. Aber ich habe nicht gemerkt, dass ich mich damit selber und meine Umwelt schädige. Heute bin ich ganz glücklich, dass ich aus diesem kindlichen Verständnis heraus bin und weiß, dass es viel mehr ein liebender Gott ist. Ich habe festgestellt, wenn ich Zeiten hatte, in denen ich nicht mehr gebetet habe, weniger Fragen gestellt habe an Gott … da war das, wie als ob ein liebender Vater oder eine liebende Mutter – ich weiß ja nicht, ob es ein männliches oder weibliches Wesen ist – von seinem Kind nicht mehr beachtet wird. Und auch das hat er mir verziehen. Ja, ich glaube an einen liebenden Gott, der mich auf den Weg schickte in die Genesung und mir alles bereitet, dass ich ein von der aktiven Sucht befreites Leben führen kann.

Warum hast Du Dich 2013 mit dem Buch überhaupt öffentlich geoutet als drogen- und alkoholkranker und bisexueller Mensch?

Es gab ein Schlüsselerlebnis. Ich saß zum zweiten Mal bei „3nach9“ in einem Interview mit di Lorenzo, um etwas vorzustellen für „Die Dreisten Drei“. Und zum zweiten Mal bot er mir auch ganz stolz seinen selbstgezogenen Rotwein an und ich habe ihn zum zweiten Mal abgelehnt. Er hat dann etwas gebohrt, gesagt, das kann doch nicht sein! Ich habe erwidert, du, ich will einfach noch ein bisschen länger leben und erzählte ihm die Kurzfassung von meiner Sucht. Plötzlich, aus heiterem Himmel, in der Live-Sendung. So habe ich mich geoutet. Und dann dachte ich, wenn ich das mache, kann ich auch gleich ein Buch schreiben. Ich wollte ein bisschen Hoffnung unter die Leute bringen und bisschen von mir erzählen, wie ich es geschafft habe.

Hatte Dein Outing berufliche Auswirkungen?

Es war damals überhaupt noch nicht normal und es gehörte nicht zum guten Ton, sich so zu outen. Es gab, glaube ich, in der Branche einen Aufschrei. Ich habe weniger Aufträge bekommen, es wurde auch ein bisschen mit Fingern auf mich gezeigt, aber nicht schlimm. Das war so diese Anfangsphase. Heute ist es so, dass diese Outcomings Normalität erreicht haben, viele Kollegen reden darüber. Das hat aber bestimmt auch damit zu tun, dass wir uns alle ganz dolle an die Hand nehmen können, wenn wir wollen. Man kann miteinander darüber reden und das ist gar nicht mehr so tabu. Das wird immer besser, finde ich.

Du hast mit 15 schon Drogen genommen, später kam Alkoholmissbrauch dazu über Jahrzehnte … wie konntest Du aufhören damit?

Ich habe kalte Entzüge gemacht, mehrere, alleine. Ein Arzt hat mich auch zweimal in eine Klinik geschickt. Einmal in eine psychosomatische Klinik in Friesland und erst dort, das war 2008, habe ich es geschafft und bin in mein erstes AA-Meeting gegangen. Der Leiter der Klinik hatte mir auf den Kopf zugesagt, „Herr Majowski, Sie sind wahrscheinlich eher ein Säufer als jemand, der ein Burnout oder psychosomatische Probleme hat. Sie gehören eigentlich an die Tische, wo Leute sitzen, die dasselbe Problem haben wie Sie. Ich würde Ihnen empfehlen, das mal auszuprobieren.“ Dann bin ich in Oldenburg in Meetings gegangen, wo die alten Hasen saßen, und letztendlich habe ich mich dort sofort wohlgefühlt, es war wie eine mütterliche, väterliche Verbindung zu den Leuten. Ich habe mich allerdings anfangs nicht zugehörig gefühlt und tat so, als ob, weil ich noch dachte, dass ich das ja alles verdient habe – also dass ich ja unheimlich viel arbeite und ja unheimlich erfolgreich bin und mich ja auch entspannen muss und ja viel trinken darf, das kann doch gar nicht sein, nichts zu trinken. Aber ich fühlte mich trotzdem bei denen aufgehoben. Die haben mir keine Ratschläge gegeben, sondern das Gefühl, dass sie für mich da sind, wenn ich sie brauche. Und das hat sich auch bewahrheitet, ich habe den Kontakt zu ihnen nie verloren. Das war die Basis dafür, dass ich AA sehr, sehr doll vertraue. Ich habe das gleiche auch in jeder anderen Stadt erlebt – wenn ich zum Beispiel auf Tournee bin, bin ich immer in den Kontaktstellen der großen Städte – dass vieles über den Tisch geteilt wurde, richtig Tacheles geredet, und ich bin trotzdem sitzen geblieben, weil die mir einfach den Arsch gerettet haben. Und wenn ich in einer fremden Stadt kein Mittagsmeeting gefunden habe, dann habe ich eins gegründet, weil ich ja abends immer auf der Bühne stand.

Wie ist das, so als Prominenter an einem AA-Tisch?

Es kommt nie vor, dass die Frage nicht gestellt wird, wenn ich neu bin in einer Stadt: Du bist doch der Markus, der im Fernsehen so lustig ist, das kann doch gar nicht sein? Ich war am Anfang wahnsinnig traurig darüber, weil mir gesagt wurde, dass die Anonymität bewahrt wird und dass ich in Ruhe gelassen würde. Aber die Verbindung war dann doch so stark zu mir, weil ich die Menschen einfach zum Lachen gebracht hatte. Weil ich für viele die Kindheit bedeute oder die Jugend. Also viele haben mich bei den Dreisten Drei erlebt und deswegen ist immer die Freude größer als der Respekt. Die können ja in dem Moment nicht wissen, dass es mir weh tut, weil ich ja weg will von dem Ego, weg von der Popularität. Ich habe auch viele Jahre lang, während ich am Anfang bei den AA saß, aufgehört, meine Karriere voranzutreiben, ich bin in ein Riesenloch gefallen beruflich, aus dem ich nur sehr schwer wieder rausgekommen bin, weil ich mich nicht mehr bemüht habe um Jobs: Ich wollte einfach nur clean bleiben, trocken bleiben.

Wie bist Du dann trocken geblieben bis heute?

Mit Hilfe meines Sponsors. Mit Beten. Mit solchen Tricks wie in Hotels in fremden Städten die Minibars leerräumen lassen. Oder in jedem Supermarkt einen Umweg zu nehmen, um möglichst nicht in die Nähe von alkoholischen Getränken zu kommen, das war am Anfang bei mir immer ein unheimlicher Trigger, so bin ich nun mal gestrickt, das ist bei jedem anders. Ich habe viel telefoniert, viel AA-Service gemacht wie Kaffeekochen, Schlüsseldienst, Literaturdienst. So bin ich trocken geblieben. Vor allem auch durch dieses regelmäßige Meetinggehen jeden Sonntag und dann noch ein 2, 3 Mal in der Woche. Ich habe keine 90 Tage 90 Meetings geschafft, aber ich denke mal, 14 Jahre sind jetzt ins Land gegangen und ich habe keinen Suchtdruck.

Zum Trockenbleiben gehört noch mehr, im Buch steht, dass Du mehr das tust, was Dir gut tut, ob nun Sport, Yoga, Ernährungsumstellung …

Das kannst du gerne zitieren, das ist tatsächlich so, ich habe sehr viel für meinen Körper getan, mich mehr bewegt. Ich habe aber gerade wieder zugenommen, weil ich eine Knie-OP hatte und einen kleinen Herzkasper. Ich bin im Oktober auf der Bühne in Karlsruhe mit einer Herzrhythmusstörung ohnmächtig geworden. Im Krankenhaus haben sie mir in der Nacht noch einen Herzkatheter gesetzt und eine Thrombose herausgeholt. Sport ist also gerade für mich ein rotes Tuch, weil ich Knieschmerzen habe und leicht außer Atem komme. Ich mache im Frühjahr eine Kur in einer 12-Schritteklinik, um nochmal mehr Genesung in mein Leben zu lassen.

Inwiefern hat Dir Gott beim Aufhören und Trockenbleiben geholfen, wie kann ich mir das vorstellen?

Das ist schlicht und ergreifend ein Wunder. Ich hätte eigentlich viel öfter auf die Fresse fallen müssen. Aber Gott hat mir meine Grenze gezeigt. Er hat mich an den Ort geführt, an dem ich meine Kapitulation haben durfte und hat mir dann ein Leben gezeigt, was voller Wertschätzung ist, was alles etwas ruhiger angehen lässt, was mit Zuhören zusammenhängt, mit Selbstannahme und Selbstfürsorge. Ich nehme mich heute so, wie ich bin, weil ich merke, dass Gott mich liebt. Selbst, wenn es mal ganz, ganz schwierig ist – und das ist es oft in meinem Leben durch neue berufliche Herausforderungen, mangelnde Aufträge, Krankheit oder finanzielle Probleme –, bei aller Sorge bin ich gut aufgehoben und fühle mich geborgen und geliebt. Ich spüre ihn einfach. Ich spüre meine höhere Macht.

Hat Dich die Krankheit Alkoholismus etwas gelehrt?

Ja, generell hinzugucken auf das, was in der Welt schön ist, nicht dunkel und beängstigend ist. Die Sucht hat mich gelehrt, auf die kleinen Dingen zu achten, sie wertzuschätzen, so klein sie auch sind. Sie hat mich auch gelehrt, dass sie als Krankheit sehr gerissen ist, denn sie versteckt sich auch. Also ich kann meine Sucht verlagern und wenn es zu viel wird, ob das beim Arbeiten oder Essen ist, dann weiß ich sofort, das ist der Alkoholismus, der gerade woanders zuschlägt. Immer kann ich dann auf bewährte Werkzeuge zurückgreifen: Ich rufe jemanden an, bitte um Hilfe, gehe dahin, wo Leute sind, die mit der Krankheit Erfahrung haben, muss mit der Krankheit nicht alleine sein.

Jetzt sind mindestens noch eine Million Fragen offen, lieber Markus Zum Beispiel, wann, wo und weshalb hast Du getrunken oder wie hat Deine Ehe mit Barbara diese Zeit überstehen können oder … aber die Antworten darauf können die interessierten LeserInnen auf jeden Fall in Deinen beiden Büchern finden. Seit einem Jahr ist ja auch Dein aktuelles auf dem Markt: Markus, mach mal! Runter vom roten Teppich, rauf auf die Leiter“, Plassen-Verlag. Die Buchbesprechung dazu gibt es in der nächsten Ausgabe. Danke für das Gespräch!

 

Das Gespräch führte Anja Wilhelm

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