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Titelthema 03/2014: Sucht und Arbeit

SUCHT UND ARBEIT


Die Statistik ist erschreckend: Fünf Prozent aller Beschäftigten gelten als alkoholsüchtig, weitere zehn Prozent (2,5 Mio.) als stark gefährdet. 11 Prozent aller Beschäftigten trinken täglich Alkohol am Arbeitsplatz, 41 Prozent gelegentlich. 10 bis 30 Prozent aller Arbeitsunfälle ereignen sich unter Alkoholeinfluss. Akoholkranke fallen durch 16mal häufigere Fehlzeiten, 2,5mal häufigere Krankmeldungen, 3,5mal häufigere Arbeitsunfälle und eine um 25 Prozent reduzierte Arbeitsleistung gegenüber ihren Kollegen auf. Im „Jahrbuch Sucht 2014“ sind die volkswirtschaftlichen Kosten durch Alkohol auf rund 27 Milliarden Euro beziffert. Die „direkten Kosten“, also für Gesundheitswesen, Sachschäden in Betrieben, Sachbeschädigungen und Verkehrsunfälle, betragen 10 Milliarden Euro.

Da ein Alkoholkranker nicht mehr zur Einschätzung seiner Situation fähig ist, kommt hier den Kollegen und Vorgesetzten eine besondere Verantwortung zu.

Natürlich tragen die Arbeitsverhältnisse entscheidend mit dazu bei, dass Berufstätige zu Drogen greifen. Dabei spielt der brutale Wettbewerb in der asozialen Marktwirtschaft eine wichtige Rolle: die Gewinne sollen ständig erhöht werden, Effektivität und Effizienz müssen deshalb steigen, die Anforderungen an den Einzelnen werden größer, immer weniger Mitarbeiter müssen immer mehr Aufgaben erledigen (die Senkung der Personalkosten ist ein wesentlicher Faktor für die   Gewinnmaximierung). Daraus folgen Belastungen und Erkrankungen wie familiäre Probleme, Depressionen, Stresssyndrome und Burnout, von dem man vor 20 Jahren noch gar nichts wusste. Gegengesteuert wird dann oft mit Alkohol oder Tabletten – morgens Amphetamine zur Leistungssteigerung, abends Benzodiazepine zur Beruhigung und zum Einschlafen. Dass dabei die Pharmaindustrie und ihre Lobbyisten eine unheilvolle Rolle spielen, sei nur am Rande erwähnt (vgl. auch Hontschick, Walter, Kobylinski: Patient im Visier: Die neue Strategie der Pharmakonzerne. suhrkamp 2011, 8,99€). Durch die agressive Werbung werden uns ständig überflüssige Bedürfnisse eingeredet, und um die befriedigen zu können, müssen wir unter zunehmenden Belastungen ständig „funktionieren“.

Auswirkungen im Team

Die Kollegen eines alkoholkranken Beschäftigten stehen vor mehreren Dilemmas: Entweder sie trinken selber fleißig mit (nicht jeder, der viel trinkt, ist abhängig) oder sie „decken“ ihren kranken Mitarbeiter. Dabei entsteht oft folgendes Verhaltensmuster: Zuerst wird der Betroffene geschüzt, er wird versteckt, wenn ein Vorgesetzter erscheint, im besonders schlimmen Fall wird er (heimlich) nach Hause geschickt. Seine Arbeitsaufgaben werden von anderen mit erledigt. Das kann jahrelang so gehen, besonders bei älteren Kollegen nach dem Motto „den schleppen wir bis zur Rente durch“. Die zweite Stufe ist Verärgerung: Das Team muss ständig für den Alkoholkranken mitarbeiten, weil er unzuverlässig, unkonzentriert, unpünktlich ist und viele Fehlzeiten hat. In der dritten Stufe wird der Betroffene offen kritisiert, eine Verhaltensänderung verlangt und schließlich der Vorgesetzte informiert, sofern der nicht auch in Stufe eins involviert ist. Es gibt Kollektive, die dasselbe Verhalten wie Coabhängige zeigen.

Was ist zu tun?

Da der Suchtkranke in der Regel seine Lage nicht erkennen kann, sich selbst in falscher Selbstwahrnehmung als „normal“ empfindet, sein Abhägigkeitsproblem ständig leugnen wird, Besserung verspricht usw., aber keine Änderung eintritt, sind die Kollegen gefordert, und damit oft auch überfordert. Sie sollten wissen, dass jeder Tag der Abhängigkeit die Krankheit verschlimmert.

Deshalb gibt es in vielen Betrieben und Einrichtungen Vereinbarungen, in denen die Vorgehensweise geregelt ist. Sollte dies nicht der Fall sein, wäre ein betrieblicher „Leitfaden“ hilfreich, da die wenigsten wissen, was zu tun ist. An erster Stelle stehen Gespräche mit dem Betroffenen, die ihm seine Situation bzw. Erkrankung bewusst machen und ihm eindeutig signalisieren, dass das Team dieses Verhalten nicht weiter tolerieren wird. Ganz wichtig: niemals mit Konsequenzen drohen, die dann nicht erfolgen! Und das Team sollte sich im Klaren sein, dass Lügen, Ausflüchte, leere Versprechungen usw. zum Krankheitsbild bei Süchtigen gehören. In den seltensten Fällen werden solche Gespräche zu Verhaltensänderungen führen (das ist übrigens in der Familie genauso). Dann muss oft der Vorgesetzte eingreifen, der dem Betroffenen mitteilt, dass er sich Sorgen mache und der Meinung sei, dass das Fehlverhalten suchtmittelbedingt ist. Er sollte auf Hilfsangebote hinweisen (Suchtkrankenhelfer, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Arzt) und Nachweise fordern. Gleichzeitig wird der Termin für ein nächstes Gespräch festgelegt, wenn es zu erneutem suchtmittelbedingtem Fehlverhalten kommen sollte. Dieses Gespräch sollte i. d. R. nach acht Wochen stattfinden. Hier kann dann schon eine Abmahnung angedroht werden. Sollte sich auch jetzt nichts ändern, folgen weitere Gespräche mit Abmahnungen bis hin zur Kündigung.

Konsequenzen

Der Versicherungsschutz durch die Berufsgenossenschaft erlischt bei alkohol- und medikamentenbedingten Unfällen. Damit sind nicht selten hohe Kosten für den Betroffenen verbunden. Das betrifft auch Haftpflicht-, private Unfall- und Kaskoversicherung.

Auf den folgenden Seiten berichtet Dr. Klaus Mucha aus der Praxis im BA Tempelhof-Schöneberg. Die Fürsorgepflicht für die Beschäftigten liegt beim Arbeitgeber. Aber auch jeder Kollege trägt eine soziale Verantwortung. Deshalb sollten Alkohol- oder Medikamentenprobleme im Team nicht als Privatangelegenheit des Betroffenen angesehen, sondern das Gespräch geführt und im Wiederholungsfall der Vorgesetzte informiert werden. Nur durch kontrollierbare Auflagen und den entsprechenden Druck kann dem Betroffenen geholfen werden, alles andere wäre Illusion.

(Wer den Titel dieses Beitrages in eine Suchmaschine gibt, findet zahlreiche Verweise im Internet, die weiterhelfen.)

Jürgen Schiebert

 

BETRIEBLICHE SUCHTPRÄVENTION IM BEZIRKSAMT TEMPELHOF/SCHÖNEBERG


Entwicklungslinien von den Anfängen Ende der 80er Jahre im BA Schöneberg über die Fusion der Bezirksämter zur Jahrtausendwende bis heute und weiter gedacht.

Wenn ich zurückdenke in die 80er Jahre, dann fallen mir zum Thema Sucht meine PatientInnen ein, die mir in meiner Zeit als Gruppentherapeut in einer großen Langzeitklinik der Arbeiter-Rentenversicherung Baden begegneten und die mir tiefe Einblicke in ihre Lebensläufe anvertrauten. Diese therapeutischen Beziehungen haben sich ziemlich unvergesslich bei mir eingeprägt. Einerseits war diese berufliche Station für mich auch so etwas wie die Wanderschaft eines Gesellen, der in die weite Welt zieht (von Berlin nach Südbaden), um den beruflichen Erfahrungshorizont zu erweitern, über den bisherigen Tellerrand hinaus zu blicken. Zusätzlich sammelt man auf so einer „Walz“ Lebenserfahrung: Andere Länder, andere Sitten, andere Mentalitäten. Als Nordlicht kommt man sich nicht nur unter der Dusche nach dem Fußballspiel wie ein Ausländer vor, wenn die Sportfreunde um einen herum nur noch Alemannisch sprechen. Auch die gruppentherapeutischen Sitzungen täglich morgens um 8 Uhr erforderten das Eintauchen in den Sprach- und Denkraum der PatientInnen. Nur wer dem Volk aufs Maul schaut, kann es verstehen lernen und verstanden werden, um an Luthers Prinzip zu erinnern.

Anfänge der „Suchtkrankenhilfe“ Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts

So, zurück nach Berlin, rein ins Jugendamt mit Sitz Rathaus Friedenau. Mich, („Doktor der Schwarzwaldklinik“ wurde ich damals tatsächlich manchmal freundlich etikettiert), krallte sich sofort der Büroleiter, um das Jugendamt in der ämterübergreifenden AG zu vertreten, die eine Dienstvereinbarung (DV) zum Umgang mit dem Alkoholproblem am Arbeitsplatz  erarbeiten sollte. Meiner Erinnerung nach ging die sehr verdienstvolle Initiative auf eine Personalrätin aus der Gruppe der ArbeiterInnen zurück.

Mit der ersten Dienstvereinbarung wurde eine Grundlage geschaffen, um ausgehend vom 1968er Urteil des Bundsozialgerichts (Alkoholismus ist eine Krankheit) und dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes 1983 (Sucht/Abhängigkeit nicht selbstverschuldet), endlich einen angemesseneren Umgang mit der Fragestellung zu ermöglichen. Das Ende der„Nasenpolitik“ (1) begann. Hilfsangebote standen von nun an im Vordergrund. Es etablierte sich eine Gruppe von freiwilligen SuchtkrankenhelferInnen.

Im Laufe der 90er Jahre wurden erste Erfahrungen mit der Umsetzung der Dienstvereinbarung gemacht. Bald wurde klar, dass es nicht ausreichte, nur halbherzig/halbtags einen Fachmenschen zu engagieren (anfänglich einen externen Halbtagspsychologen, dann eine Sozialarbeiterin mit wechselndem Stundendeputat) und sich inhaltlich ausschließlich auf Alkoholgefahren zu beschränken.

Großes Verdienst der Kollegin Sozialarbeiterin als Suchtbeauftragte war es, mit der Entgiftungsstation der Klinik des Deutschen Roten Kreuzes am damaligen Standort in der Nähe des Heidefriedhofs in Tempelhof eine Kooperation zu beginnen. Seit der Zeit haben bis heute über 80 mal Beschäftigte des Bezirksamts Gelegenheit gehabt, auf der Suchtstation zu hospitieren (damals in Dreier-, neuerdings in Zweier-Grüppchen), um hautnah zu erfahren, wie mit Suchterkrankten professionell im Entgiftungsstadium umgegangen wird, welche Schicksale sich hinter den Suchtkarrieren verbergen etc.

Die Überarbeitung der DV hatte zum Ergebnis, dass eine volle Stelle für eine/n Sucht- beauftragte/n verankert wurde und der Blickwinkel auf Süchte/Abhängigkeiten insgesamt geweitet wurde. Diese Erkenntnisse konnten in den Fusionsverhandlungen (2)   mit dem BA Tempelhof gerettet werden.

 Schöneberg und Tempelhof gemeinsam ins neue Jahrtausend

Die Dienstvereinbarung „über Maßnahmen zur Eindämmung von Suchtkrankheiten und über den Umgang mit suchtmittelgefährdeten – oder kranken Beschäftigten im Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin war das Ergebnis intensiver Gespräche in einer Arbeitsgruppe beider Bezirksämter und trat im Fusionsjahr 2001 in Kraft. Die fusionierten Bezirksämter hatten gemeinsam ca. 5.000 Angestellte, ArbeiterInnen und BeamtInnen. Der Neu-Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist nach der Einwohnerzahl die zehntgrößte Stadt Deutschlands (deutlich größer als z.B. die Uni-Stadt Bielefeld). Schon damals schrieben wir in die Präambel der DV:

„Durch die sich rasch verändernden Lebens- und Arbeitsbedingungen verstärken sich die psychischen Belastungen und Spannungen für die einzelnen Beschäftigten. Eine Reihe von Mitarbeitern begegnet diesen Belastungen mit einem steigenden Konsum von Alkohol und anderen Suchtmitteln. Das dauerhafte Missbrauchsverhalten verursacht erhebliche gesundheitliche Schäden, die im Arbeits- wie auch Privatleben zu Beeinträchtigungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit führen.“

Es folgt dann eine klare Priorität für einen Hilfe-Prozess von Prävention über Beratung bis Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess (Nachsorge, inzwischen ja auch unterfüttert durch Betriebliches Eingliederungsmanagement BEM gemäß 84 Sozialgesetzbuch SGB IX).

„Um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit unserer Mitarbeiter zu erhalten, haben wir uns zum Ziel gesetzt, alle Mitarbeiter über die Gefahren des Suchtmittelmissbrauchs aufzuklären, den suchtkranken Mitarbeitern bei der Überwindung von Suchtkrankheiten zu helfen und sie bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess zu unterstützen“ (DV, Seite 1) .

 Kernstück der DV sind die klar vorgegebenen und detailliert beschriebenen Gesprächsabfolgen (Stufengespräche).

„Mit dieser Dienstvereinbarung soll ein Verfahrensablauf im Umgang mit suchtkranken Beschäftigten eingeführt werden. Dieser abgestufte Verfahrensablauf gibt den Vorgesetzten und Mitarbeitern vor, wie bei suchtbedingten Auffälligkeiten von Mitarbeitern zu verfahren ist“ (ebd.) .

Die hohe Verantwortung von Führungskräften wird besonders hervorgehoben:

 „Insbesondere die Vorgesetzten tragen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht bei der Prävention wie auch bei dem Umgang mit suchtkranken Mitarbeitern und bei der Wiedereingliederung von ehemals suchtkranken Mitarbeitern besondere Verantwortung. Suchtkranke Mitarbeiter brauchen konsequent handelnde Vorgesetzte und Kollegen“ DV, Seite 2) .

 In dem Film „Der erste Schritt“ (Deutsche Angestellten Krankenkasse DAK 2006), den ich regelmäßig bei Fortbildungen einsetze, sagt die Vorgesetzte im Gespräch mit ihrem vermeintlich alkoholgefährdeten Mitarbeiter: „Durch Ihr Verhalten bestimmen Sie, wie weit wir gehen.“ Das ist ein sehr kluger Gedanke, der deutlich machen soll, dass es der Betroffene in der Hand hat, ob er kooperiert und die kleinen Schritte auf dem Weg des langen Hilfeprozesses mitgeht, die ihm helfen könnten, oder ob er im negativen Fall so handelt, dass leider mit arbeits- oder dienstrechtlichen Konsequenzen zu rechnen sein muss.
Aber: Diesen klugen Satz müssten sich leider viele Führungskräfte selbst hinter die Ohr schreiben, denn auch durch ihr Handeln oder eben leider Nicht-Handeln bestimmen sie, wie weit eine möglicherweise sich entwickelnde Alkoholabhängigkeit bei einer/eine ihrer MitarbeiterInnen voranschreitet. Leider gibt es immer noch viel zu viele, die lieb weggucken, nicht wahrnehmen (nicht als Wahrheit nehmen) oder Vereinbarungen inkonsequent nicht einhalten (Termi Sanktionen).

Co-Alkoholismus spielt hier seine üble Rolle. Deshalb wird in dem 10 Seiten starken Leitfaden für Führungskräfte (Anlage zur DV) dringend zu Rollenklarheit geraten:

„Bleiben Sie in Ihrer Rolle als Vorgesetzter (nicht in die Rolle des Helfers oder Beschützers schlüpfen!)“ und „begeben Sie sich nicht in eine unbewusste Komplizenschaft mit dem Suchtkranken (Co- Alkoholismus).“

Mit der Fusion und dem Inkrafttreten der DV wurde als Vollzeit-Suchtbeauftragte eine bisher eher fachfremde Tempelhoferin untergebracht, die sich bis zu ihrer Berentung 2003 bemühte, im Sinne der DV zu arbeiten. Es gelang ihr, die Schöneberger SuchtkrankenhelferInnen und die vereinzelt vorhandenen Tempelhof SuchtkrankenhelferInnen zu einer Gruppe zusammen wachsen zu lassen.
Fundierte Unterstützung erfuhr die Suchtarbeit in der damaligen Zeit durch den leider viel zu früh von uns gegangenen Jürgen Petukat im Rahmen seines Engagements bei den Guttemplern. Dort machten einige der Suchtkrankenhelfer Innen (und auch der Autor) die Zusatzausbildung zur/m Kollegialen Berater/in. Jürgen Petukat führte mehrere Jahre lang Fortbildungen für Führungskräfte des Bezirksamts durch. Ich habe viel von ihm gelernt und werde ihn nie vergessen.

Betriebliche Suchtprävention als ein Bestandteil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements

Ab 2004 wurde dem Autor die Zuständigkeit für die Betriebliche Suchtprävention als Betrieblicher Suchtbeauftragter des Bezirksamts übertragen und damit leider von allen Beteiligten in Kauf genommen, dass die in der DV vereinbarte Vollzeitstelle für den Suchtbeauftragten ausgehöhlt wurde, weil er zugleich Beauftragter der Bezirksbürgermeisterin für das gesamte Betriebliche Gesundheitsmanagement und die ergonomische Gestaltung der Arbeitsplätze ist (in den ersten Jahren sogar noch zusätzlich für die Koordination Arbeitsmedizin/Arbeitssicherheit). Damit bleibt nur noch ein Drittel der Arbeitszeit für die Betriebliche Suchtprävention.
Der Aufbau einer professionellen Betrieblichen Suchtprävention fiel in die Zeit vor Inkrafttreten des NichtraucherInnen-Schutzgesetzes 2007. Es bedurfte großer Anstrengungen, auch innerhalb des damaligen SuchtkrankenhelferInnen-Kreises, aber insbesondere innerhalb der Verwaltung (Dienststellenspitze, Beschäftigtenvertretungen), dem NichtraucherInnenschutz Bahn zu brechen und der am weitesten verbreiteten Abhängigkeit mit der höchsten Mortalitätsrate Priorität zu geben (Mucha 2007).
Mit dem altersbedingten Ausscheiden von SuchtkrankenhelferInnen ergab sich eine Auffrischung des Teams durch hochmotivierte KollegInnen, die nach fachlichen Kriterien in transparentem Verfahren aus einer erfreulich großen Zahl sich für die Mitarbeit Interessierender ausgewählt wurden.
Da sich die Beratungs-Anfragen ausdehnten auf fast alle möglichen psychologischen Fragestellungen (Arbeitsdruck, Stress, Überforderungen, Burnout, Depression, Ängste, Konflikte/Mobbing etc.) öffneten wir offiziell unsere Angebotspalette und benannten uns um in Kollegiale Beratung/Betriebliche Suchtprävention. Inzwischen sind wir außerdem Anlaufstelle Konfliktmanagement wegen des enorm gestiegenen Bedarfs an Konfliktvermittlungen (sowohl 1:1-Konstellationen als auch Gruppenberatungen). Selbstverständlich ist permanente Qualifizierung für die Beratungsarbeit erforderlich bzw. sogar Voraussetzung.

Kern der Beratungsarbeit sind die Einzel- und Gruppenberatungen, die von den jetzt, neben dem Suchtbeauftragten, sechs Kollegialen BeraterInnen (drei Frauen, drei Männer) einzeln oder auch zu zweit geleistet werden.

In Abhängigkeit von den personellen Ressourcen werden Veranstaltungen durchgeführt.

für Auszubildende: Begrüßung der Neuen mit Präsentation der Angebotspalette des Betrieblichen Gesundheitsmanagements insgesamt, Fortbildungen zu Alkoholgefahren (in Zusammenarbeit mit Berliner Polizei), Fortbildungen zur Drogenproblematik,  Zusammenarbeit mit dem Drogennotdienst und der Fachstelle für Suchtprävention im Berlin),  zu Mobbing/Cybermobbing (Mucha 2013).

Ebenso für Führungskräfte in Zusammenarbeit mit Institut für Betriebliche Suchtprävention.

Die schon erwähnten Hospitationen auf der Entgiftungsstation der DRK-Kliniken (schon längst im Wedding, Drontheimer Straße, angesiedelt) sind 2013 alternativ ergänzt worden durch unsere Kooperation der entsprechenden Station 17 des Vivantes Auguste-Victoria-Klinikums in Schöneberg. Dieses Fortbildungsangebot wird seit 2014 abgerundet durch eine jeweils vorgeschaltete eintägige Hospitation in der Alkohol- und Medikamentenberatungsstelle am Tempelhofer Damm 129 des Notdienstes für Suchtmittelgefährdete und-  abhängige Berlin. Die Hospitationswochen starten immer montags mit der Vorbereitung beim Suchtbeauftragten, es folgt der Tag in der Beratungsstelle, dann zwei Tage Entgiftungsstation und abschließend die Auswertung/Vertiefung beim Suchtbeauftragten. Ab 2015 werden wir nach Möglichkeit auf die Bereitschaft des Vivantes Wenckebach-Klinikums in Tempelhof gern zurückkommen und auch dort mit der Hospitation beginnen.

Weiter gedacht
(Perspektiven)

Auch Betriebliche Suchtprävention kann die Augen nicht verschließen vor Komorbidität/ Doppeldiagnosen von Sucht und psychischen Störungen (Moggi 2014), die „wechselseitig einen signifikanten Einfluss auf die Schwere der jeweils anderen Erkrankung und die Prognose“ haben (Preuss et al. 2014, S. 29).
Die hohe Komorbidität zwischen Substanzabhängigkeiten und dem Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom ADHS, einer Wahrnehmungs-Integrations-Störung (im Volksmund auch „Zappelphilipp“ genannt) ist bekannt. Die Welle wird auch die Betriebliche Suchtprävention im öffentlichen Dienst erreichen, sobald die entsprechende Generation wieder Zugang in den jetzt noch „vergreisenden“ öffentlichen Dienst findet.

Der immer noch verharmlosende Umgang mit Nikotinabhängigkeit (ich bin einer Gesundheitsstadträtin   begegnet, die Tabakrauchen nicht zum Zuständigkeitsbereich der Betrieblichen Suchtprävention gehörend wahrnimmt), trotz hoher Zusammenhänge/Komorbidität zwischen Nikotinabhängigkeit und psychischen Störungen (Mühlig 2014), dürfte hoffentlich auch bald ein Ende finden.

Zukünftig wird also die Betriebliche Suchtprävention im Sinne unserer Kollegialen Beratung selbstbewusst das Tätigkeitsfeld ganzheitlich beackern und die entsprechenden Voraussetzungen (personell und strukturell) einfordern müssen, wenn ihre gute Arbeit ernst genommen werden soll. Nur dann wird diese innerbetriebliche Institution dem vorhandenen Bedarf gerecht werden können und überleben.

Schon jetzt gibt es auf Seiten der Verwaltung Äußerungen, diese Perle praktisch gewordener Fürsorgepflicht oder auch Perle praktizierter Humanisierung der Arbeitswelt der Privatisierung in den Rachen zu werfen, indem externe Institute, die sich fürstlich honorieren lassen, ins Spiel gebracht werden, weil sie wie Einkaufszentren mit verlängerten Öffnungszeiten (natürlich außerhalb der Arbeitszeit) alles anbieten, was das Herz begehren könnte. Da lobe ich doch unsere Marken-Boutique mit ihrem Delikatessenangebot, direkt am Arbeitsplatz, innerhalb der Arbeitszeit, quasi „gemeindenah“.

Dr. Klaus Mucha