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Titelthema 5/13: MPU

Das tote Huhn im Auto

Die MPU – wie ich wieder zu meinem Führerschein kam

In der TrokkenPresse 3/2012 erschien ein Interview „Wie ein Musiker auf den Alkohol kam und dann auf den Hund und wie der Hund ihn gerettet hat“. Michael T., 58, erzählte von seiner Sucht, seinen Empfindungen und Gefühlen und seiner am Alkohol gestorbenen Freundin Claudia. Aber auch darüber, wie er es mit Hilfe seines Hundes „Bongo“ geschafft hat, trocken zu werden.
Vor wenigen Tagen bellte es vor der Tür unserer Redaktion. Michael und Bongo begehrten Einlass. Es gab nämlich wieder etwas zu erzählen: wie Michael den Führerschein wiederbekam.
Dazwischen lag eine lange Karriere als Abhängiger: mit 14 die ersten Drogen, seit über 30 Jahren Alkohol. Jetzt seit vier Jahren trocken. Den Führerschein erhielt Michael 1978. 2009 verursachte er mit 2,07 Promille einen Auffahrunfall, danach war der Lappen weg. Das war, so Michael, auch mit einer gewissen Erleichterung verbunden, weil er zunehmend „besoffen“ gefahren ist.

Was war denn mit dem Führerscheinentzug verbunden?

Na ja, im Strafbescheid stand: 9 Monate Führerscheinentzug und 2.500€ Geldstrafe. Und mir war auch klar, dass ich zum “Idiotentest“ musste, wenn ich den Schein wiederhaben wollte. Das ist ab 1,6 Promille vorgeschrieben.

War der Führerscheinentzug für dich mit ein Grund, mit dem Trinken aufzuhören?

Da kam einiges zusammen: innerlich war ich völlig aufgewühlt, durch den Tod meiner Freundin Claudia, auf die Reihe habe ich auch nichts mehr bekommen, meine Wohnung war verwahrlost und so weiter, und dann bin ich ins AVK (Auguste-Viktoria-Krankenhaus Berlin) gekommen.

Wie ging es dann weiter?

Aus dem AVK haben die mich nicht so schnell entlassen. Ich war fast zwei Monate dort, bis ich wieder einigermaßen geradeaus laufen konnte. Danach bin ich in die Beratung der PBAM gegangen, das hat mir sehr geholfen.

Hast du dann schon wieder ans Autofahren gedacht?

Nee, überhaupt nicht. Ich hatte so viel mit mir zu tun, der Tod meiner Claudia war noch nicht verarbeitet, die persönlichen Umstände waren auch nicht so glücklich, und da stand das Auto einfach rum. Erst 2011 habe ich dann den Antrag auf die MPU bei der IAS (Institut für Arbeits- und Sozialhygiene) in der Rheinstraße gestellt.

Wie lief das im Einzelnen ab?

Zum Glück habe ich einen Vorbereitungskurs besucht. Da habe ich erstmal erfahren, dass ich ein Jahr lang zum betreuten Pinkeln muss, und auch Haarproben abgeben. Die wollten feststellen, ob ich noch trinke oder Drogen nehme. Auch die Leberwerte wurden überprüft. Bei der Informationsveranstaltung wurde mir auch mitgeteilt, dass es bei der MPU nicht nur um medizinische Untersuchungen, Reaktionstests und ein Gespräch mit einem Psychologen geht, nee, da wird auch kontrolliert, wie die familiären Umstände und die sozialen Kontakte sind, in welchen Verhältnissen du lebst, wie regelmäßig du eine Selbsthilfegruppe besuchst. Da musste ich schon die Hosen runter lassen.

Hast du eine professionelle Vorbereitung bei einer Beratungsstelle gemacht?

Ja, ich war bei Haiko Ackermann in der Friedrichstraße. Der entwickelt einen „Plan B“, damit man gut vorbereitet in die Prüfung gehen kann. Da habe ich dann auch wichtige Tipps erhalten, so z. B. dass ich regelmäßig in eine Selbsthilfegruppe und zur Psychotherapie gehen soll und mir das alles auch schriftlich bestätigen lasse.

War denn die Führerscheinstelle in der Puttkammerstraße damit einverstanden, dass du die Fahrerlaubnis so lange dort hast „liegenlassen?

Weiß ich nicht, aber ich habe mich dort gemeldet und meine persönliche Situation geschildert und gesagt, dass ich jetzt noch nicht so weit bin, die MPU zu machen. Das hat dann keine Probleme gegeben.

Wie ist dann die eigentliche medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) abgelaufen?

Also da kam einiges zusammen. Zuerst war die ärztliche Untersuchung. Die wollten ja auch alle Ergebnisse der vorausgegangenen Urin- und Haarproben, die Leberwerte usw. sehen. Das Gespräch mit der Psychologin war auch nicht ohne. Die wollte alles genau wissen und bohrte immer nach. Wie meine Trinkzeit verlaufen ist, wie meine Familienverhältnisse waren und sind, welche persönliche Entwicklung ich in den letzten Jahren genommen habe, wie ich meine psychische Stabilität einschätze, welche Schlussfolgerungen ich gezogen habe und was ich zukünftig anders machen will. Ich kann dir sagen, da kam ich ganz schön ins Schwitzen. Und wenn dann die Chemie auch nicht so ganz ideal ist… na ja, ich hab‘s überstanden

Wie war denn das mit dem Reaktionstest? Da haben ja die meisten Bammel vor.

Das wusste ich, dass die Frage kommt. Also, da brauchen wir nicht drumherum zu reden, da bin ich gleich durchgerasselt.

Und?

Deswegen musste ich mit einem Fahrlehrer und der Psychologin im Auto eine Fahrstunde absolvieren. Hätte ich den Reaktionstest bestanden, hätte ich mir das sparen können, die Fahrstunde kostet ja 50 €.

Und die hast du beim ersten Mal auch verrasselt?

Ja klar, musste ja kommen. Ich habe einem von rechts Kommenden die Vorfahrt geschnitten.

Da du ja heute mit dem Auto hier bist, hast du es aber offensichtlich geschafft?

Ja, die zweite Fahrstunde hat dann geklappt. Da war ich konzentriert und auch an der Ehre gekitzelt.

Wie ist dein Resumee?

Also, einfach ist es nicht, vor allem, wenn du den Kopf noch voller anderer Gedanken hast. Es kostet auch ganz schön, insgesamt, mit den ganzen Untersuchungen, habe ich vielleicht 1.500€ bezahlt. Am Ende gibt es einen Abschlussbericht. Den bekommst nur du, nicht die Führerscheinstelle. Den solltest du dir zu Hause ganz genau durchlesen, ist ja nicht immer verständliches Deutsch. Und wenn du meinst, dass er positiv für dich ausgefallen ist, schickst du ihn der Führerscheinstelle. Aber nur dann! Die entscheidet dann endgültig, ob du die Papiere wieder kriegst. Wenn der Bericht nicht so schmeichelhaft ist, schicke ihn gar nicht erst hin, sondern mache die MPU nochmal.

Seit wann hast du deinen Führerschein wieder?

Seit dem 2. August 2013. Und ich bin froh darüber.

Wie lange hat dein Auto gestanden?

Über ein Jahr.

Und, ist es gleich wieder angesprungen?

Ja. Aber auf dem Rücksitz lag auch über ein Jahr lang ein ehemals tiefgefrorenes Hühnchen, gut eingeschweißt, im eigenen Saft.

Die TrokkenPresse dankt dir für das Interview und wünscht dir und Bongo immer genug Luft auf den Reifen!

Interview: Jürgen Schiebert

Ein Führerschein – „Lappen“ oder Medaille?

Ein Führerschein ist nichts Besonderes. Oft wird sogar von einem „Lappen“ gesprochen. Hat man den Lappen verloren, kann man den Lappen auch wieder bekommen, es kostet nur ein wenig Mühe und etwas Geld. Es handelt sich um ein alltägliches Ereignis, eben nichts Besonderes.
In diesem Fall steht aber hinter dem Verlust des Führerscheins ein Drama, eine Tragödie. Der Betroffene war auf dem Weg seine eigene Gesundheit zu verspielen. Der Alkohol hatte ihn und seine Partnerin fest im Griff. Am Ende war es für die Freundin zu spät. Sie wurde tot aufgefunden und er konnte gerade noch gerettet werden. In der Not war für ihn ein langer Klinikaufenthalt unerlässlich. Es folgten weitere Schritte auf dem Weg in die allmähliche Genesung. Er brauchte Zeit, er brauchte Geduld – ein langer Abschied von gestern. Wenn heute hier über die Wiedererlangung des Führerscheins berichtet wird, dann kommt es mir fast so vor, als handele es sich bei dem wieder erlangten Führerschein um eine Art von Medaille:
Eine große Anerkennung für das Durchhalten schwerer Stunden, für die Bewältigung des Abschieds von der Freundin, des Abschieds vom Alkohol und für den Beginn eines neuen Lebens. Die TrokkenPresse gratuliert!

Heidt-Müller

Wenn der Führerschein weg ist

Rund um die MPU

Kaum ein Thema ist so mythenbehaftet wie die „Begutachtung zur Fahreignung“, auch „medizinisch- psychologische Untersuchung (MPU)“ oder „Idiotentest“ genannt. Bei unseren Recherchen zum Interview „Das tote Huhn im Auto“ mussten wir feststellen, dass eine umfassende und verständliche Darstellung aller mit einer MPU verbundenen Themen kaum zu finden ist. Außerdem können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass die Schwierigkeit der Informationsbeschaffung auch