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Titelthema 1/22: Kurt Wetzlinger – trocken dank seines Hobbys

Kurt aus Kärnten ist seit 25 Jahren trocken, dank eines Hobbys:

Gleitschirmfliegen … statt Biertrinken

Heute gucken wir mal über den bundesdeutschen Tellerrand hinaus, liebe Leserinnen und Leser: Grüß Gott nach Österreich! 340 000 Menschen von knapp 9 Millionen dort gelten als alkoholkrank. Einer von ihnen ist Kurt Wetzlinger (74), inzwischen 25 Jahre trocken. Und zwar seit seiner Therapie, die, ähnlich wie in Deutschland, aus Entgiftung, Entwöhnung und Nachsorge aufgebaut ist. Um trocken zu bleiben, hatte er sich damals selbst ein Ziel gesetzt, eine Art Belohnung ausgesetzt: Ich lerne Paragliding, wenn ich ein Jahr geschafft habe! Und so kam es auch … Seitdem hat er 4200 Flüge hinter sich und ist inzwischen sogar Obmann des Drachen- und Gleitschirmfliegerclubs Ossiacher See. Am Telefon antwortet er uns kurz und bündig, eher ein Mann der Tat eben: Einfach machen …

Wie wurdest Du alkoholkrank?

Ich war kein Trosttrinker, ich bin da so reingerutscht über 15 Jahre. Ich habe immer gerne Bier zum Essen getrunken. Und als Handelsvertreter hatte ich mit Privatkunden zu tun, du bekommst dann dort ein, zwei Bier, das geht Jahre. Dann bekommst du vier Bier und merkst noch immer nichts, und irgendwann beschließt du dann, bevor du nach Hause gehst, noch im Gasthaus zwei, drei Bier zu trinken. Sukzessive bist du dann bei 12 Bier am Tag. Man kommt sehr rasch hinein und eben schwer heraus …

 Aber Du musstest doch als Handelsvertreter täglich Auto fahren …?

Naja, das ist so lange „gut“ gegangen, bis ich den Führerscheinentzug hatte. Danach hat meine Tochter mich chauffiert, so hat das weiterfunktioniert.

 Jeder zweite Österreicher trinkt täglich Bier. Woran hast Du gemerkt, dass es bei Dir zu viel wurde?

In der Zeit, wo man mittendrin ist, ging es mir gar nicht so schlecht. Aber dann zum Schluss, gesundheitlich ging es mir zwar noch ganz gut, aber es war nicht mehr so lustig, keine Aktivitäten mehr zu haben.

 Keine Aktivitäten, was meinst Du damit?

Zum Beispiel bin ich früher viel Angeln gegangen, dann hat das aufgehört. Das Schifahren hat dann auch aufgehört. Man verliert die Lust an den ganzen Geschichten, die Sauferei war dann viel wichtiger. Ich lebte von einem Tropfen zum nächsten, vegetierte dahin.

 Wann ist Dir das aufgefallen?

Als ich 49 Jahre alt war, hatte ich einen klaren Moment, in dem ich dachte: War das jetzt alles vom Leben, dass man morgens in der früh schon beim Bier steht? Dabei lebe ich gerne! Das war so ausschlaggebend, dass ich dann zum Entzug gegangen bin. Ich musste einfach was unternehmen und das habe ich getan.

 Du bist von selbst zum Entzug?

Es wurde vorher lange auf mich eingeredet, dass ich das machen muss, machen soll. Die Firma, die Familie … ich dachte damals, ich trinke doch nur Bier, Alkoholiker ist jemand, der Schnaps kauft. Ich hatte schon eine Bauspeicheldrüsenentzündung wegen der Trinkerei. Hatte oft versucht, aufzuhören. Einmal habe ich vier Monate lang nichts getrunken, aber wieder begonnen. Da war auch für mich persönlich dann Schluss und ich bin in die Klinik. Mein Gedanke war ursprünglich, dass ich das dann reduzieren kann und nur ein Glas Bier am Tag trinke … aber das klappt ja nicht. Deshalb gibt’s bei mir seitdem nur null Alkohol.

 Wie erging es Dir in der Klinik?

Acht Wochen ist dort der Mindestaufenthalt.  In den ersten drei Wochen geht’s einem ziemlich schlecht, man zweifelt viel: Wieso ich, ich bin so stark, ich brauch das alles nicht … das muss man durchlaufen für diese drei Wochen und dann wird es sowieso mit jedem Tag besser.

 In der Klinik hast Du Dir eine Belohnung versprochen …

Auf dem Berg überm Krankenhaus war der Startplatz einer Flugschule und unterm Krankenhaus der Landeplatz. Ich wollte schon immer fliegen, schon als Kind! Zwar hatte ich mal einen Grundkurs gemacht in Drachenfliegen, aber das hatte ich nicht weiter verfolgt wegen der Trinkerei. Als es mir dann besser ging nach etlichen Wochen Therapie, habe ich mir gedacht: Wenn ich es ein Jahr lang ohne Bier aushalte und es mir gut geht, dann gehe ich auch zum Gleitschirmfliegen. Bevor ich nach Hause gegangen bin, habe ich das meinen Mitpatienten gesagt, da haben alle gelacht. Aber genau ein Jahr später, als ich die Kurse gemacht hatte, begann ich dort zu fliegen …

 Dieses Ziel hat dir also geholfen, trocken zu bleiben?

Ja!

 Wie?

Ich tue etwas, was mir Spaß macht. Wenn ich ein, zwei Tage nicht fliegen kann, werde ich schon kribbelig und dann geh ich wieder hin. Es ist ein schönes Gefühl, zu fliegen – und was einem Spaß macht, sollte man öfter tun …

 Du hast Dir damals auch einen Hund „angeschafft“, der dann auch mitgeflogen ist?

Ja, einen Jack Russel-Terrier. Meine Frau wollte eigentlich keinen, so musste ich den kleinen Hund ab und zu mitnehmen und dann ist sie halt auch mitgeflogen und war ganz närrisch darauf. Sie wurde über 17 Jahre alt – ihr Leben ist wie im „Fluge“ vergangen. Danach kam Kyra, sie ist schon mit fünf Monaten mitgekommen und hat mittlerweile über 780 Flüge.  Für Hunde habe ich ein extra Hundegeschirr, Kyra sitzt entspannt auf meinem Schoß. Mich kennt man nur mit Hund beim Fliegen.

 Alkohol und Paragliding zusammen geht nicht?

Das geht prinzipiell sowieso nicht und bei mir überhaupt nicht. Paragliding ist wie Segelfliegen, wir müssen die Thermik beobachten und nutzen können, um oben zu bleiben und zu fliegen, manchmal stundenlang …

 Also hält Dich Dein Hobby auf seine Weise mit trocken?

Ja natürlich! Ich habe nie ein Glas Alkohol getrunken in der Zeit und werde es, so wie es heute ausschaut, auch nicht tun. Es geht mir bestens!

 Ist das auch Dein Rat für alle, die abstinent bleiben wollen?

Jeder hat, wenn er zurückdenkt an die Zeit vor der Trinkerei, irgendwelche versteckten Ziele, irgendwas, was er immer gerne mal tun wollte. Das sollte er sich dann als Hobby nehmen. Es hilft zum Beispiel, ein Haustier zu haben, einen Hund. Es hilft, irgendein altes Hobby wieder aufleben zu lassen, so dass man irgendein Ziel hat, etwas tut, was einem Freude macht. Was einen ausfüllt, die Akkus auffüllt. Womit man die Zeit nützlich verbringt. Früher ist man ja stundenlang an der Theke gestanden, und jetzt hat man stundenlang Zeit übrig. Bei uns heißt es: Wenns dem Esel zu gut geht, geht er aufs Eis tanzen … das heißt, man muss irgendwas unternehmen, was einem Spaß macht, und dann vergisst man, dass man Alkohol „braucht“ … deshalb sage ich immer: Lebensqualität pur!!

Das Gespräch führte Anja Wilhelm